Sumerki - Daemmerung Roman
anderes übrig, als Juan Nachi Cocoms Rat zu befolgen: Ich musste der Versuchung eines panischen Rückzugs widerstehen und mich erneut der Vorhut der spanischen Expedition anschließen.
»Dass wir nach einigen Hundert Schritten von jener Stelle, wo Francisco Balbona in sein Verderben geflohen war, zwei in Stein geschnitzte Idole von so geringer Größe erblickten, dass sie mir kaum bis an den Gürtel reichten. Dass der Ausdruck dieser steinernen Gnome jedoch voller Ingrimm war, mit runden Glotzaugen, ihre Münder voll riesiger Reißzähne. Dass Felipe Alvarez, als er sich den Götzen noch nicht einmal auf zwanzig Schritt genähert hatte, nicht diese anblickte, sondern weit darüber hinaus, und in solch großen Schrecken geriet, dass er die Gabe der Sprache verlor und sich benässte.
Dass Vasco de Aguilar ihn allem Widerstand zum Trotz mit Hieben und Fußtritten an jenen Götzen vorbeitrieb. Dass jener Felipe Alvarez trotz der behutsamen Pflege und engelsgleichen Sanftmut, mit der Fray Joaquín den Unglücklichen umsorgte und ihn unter seine Fittiche nahm, nicht mehr zu gesundem Verstand zurückkehrte. Dass er fortan nur noch blökende Laute von sich gab und von seinen Lippen ständig Speichel rann und seine Augen weit aufgerissen in die Leere starrten.
Dass in der nächsten Nacht Felipe Alvarez durch einen Dolchstoß ins Herz getötet wurde. Dass es nicht gelang herauszufinden, wer die Missetat verübt hatte; dies jedoch auch niemand wünschte, da der Unglückselige mit seinem fortdauernden Blöken allen solche Beklommenheit und Angst eingeflößt hatte, dass sowohl ich als auch die Übrigen seinem Mörder im Herzen dankbar waren.
Dass mir daraufhin unser Wegführer Juan Nachi Cocom, der mir mehr als den anderen vertraute, erklärte, es sei jemand unter uns, der
das Ziel unserer Expedition besser kenne als er selbst. Und dass dieser Mensch womöglich den Felipe Alvarez aus eigenen, geheimen Beweggründen handelnd, getötet habe.
Dass ich damals nicht begriff, wovon der Wegführer sprach, jedoch beschloss, den Augenblick zu nutzen und ihn erneut zu befragen, was er selbst über dieses Ziel wisse. Dass er sich diesmal nicht widersetzte, sich aber zunächst vergewisserte, dass die anderen nichts vernehmen konnten, und mir sodann eine höchst verwunderliche Sache anvertraute.
Dass sich nach seinen Worten unweit einer Stadt namens Calakmul, wohin dieser ›sakbe‹ wahrscheinlich führte, ein alter Tempel befand, wo in einer Kammer die heiligsten Bücher seiner Ahnen aufbewahrt würden. Dass sein Großvater, der bei ihnen lebte, erzählt habe, dass dieser Tempel auch eine gewisse Handschrift berge, die ›Chronik des Künftigen‹ genannt werde, da sie die Zukunft der Maya und der ganzen Welt Jahrhundert um Jahrhundert enthülle und deren unausweichliches Ende verkünde, ja sogar bis auf den Tag genau prophezeie, wann der Himmel auf die Erde herniederfallen werde.
Dass diese Handschrift auch alle Anzeichen beschreibe, an denen man die nahende Apokalypse erkennen könne, damit die Eingeweihten sie den anderen Mayas mitteilten und damit das Volk der Maya genügend Zeit habe für Gebete und andere notwendige Vorbereitungen. Dass dieses Wissen ein Geheimnis sei, das von Menschen, Dämonen und Göttern gleichermaßen gehütet werde. Und dass dieses Wissen verflucht sei, ebenso wie all jene verflucht seien, die davon wüssten.
Dass er selbst angeblich nur deswegen davon gehört habe, weil seine Mutter einem alten Geschlecht angehöre, dessen ehrenwerteste Söhne in alter Zeit über all diese Ländereien geherrscht hätten, und dass königliches Blut in seinen Adern fließe. Dass er des Weiteren berichtete,
in seiner Kindheit habe in ihrem Hause ein alter Mann gelebt, den er damals als seinen Großvater ansah, und dieser Alte habe nie gearbeitet und nichts im Hause getan, sondern nur mit dem Jungen gespielt und ihm Geschichten erzählt und verlangt, dass dieser sie in seinem Gedächtnis bewahre. Und dass eines Tages der Alte über die Schwelle hinausgetreten und nie mehr zurückgekehrt sei.
Dass Juan Nachi Cocom viele dieser Legenden im Gedächtnis behalten hatte, darunter auch die Geschichte von dem Tempel in Calakmul. Dass er über den Sinn dieser Legenden und deren Bedeutung erst nach Jahrzehnten nachgedacht und nun seine Schlussfolgerung gezogen habe.
Dass ich Juan Nachi Cocom fragte, warum er mir dies nicht früher, sondern erst jetzt gesagt habe, worauf er mir antwortete, seine Zeit gehe zur Neige, und er
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