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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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gab es im letzten Abschnitt keine direkten Hinweise darauf, dass sich ihm der Inhalt des Manuskripts offenbart hatte, doch war ich mir dessen ziemlich sicher.
    Nun konnte ich gar nicht mehr anders, als das Tagebuch zu Ende zu lesen. Was mit mir geschah, ging weit über die Grenzen eines spannenden Schreibtisch-Abenteuers hinaus. Und allmählich wurde mir klar, warum in diesem Spiel der Einsatz plötzlich so gestiegen war.
    Wenn ich tatsächlich kurz vor der Enthüllung eines der größten Geheimnisse der alten Maya stand, wenn ich auserwählt war, gemeinsam mit den Konquistadoren nach Calakmul zu ziehen, und am Ende durch den Schleier der Jahrhunderte nicht nur in die Vergangenheit, sondern sogar in
die Zukunft zu blicken - hatte ich dann überhaupt das Recht, einen Rückzieher zu machen?
    Für mich war eine Umkehr schon allein deshalb ausgeschlossen, weil ich auf einmal nichts mehr fürchtete, als zu meinem alten Leben zurückzukehren. Leben? Konnte man mit diesem wunderbaren, großartigen Wort überhaupt mein bisheriges, jämmerliches Dasein bezeichnen, mein sinnloses Dahinvegetieren von Auftrag zu Auftrag, mit dem einzigen Zweck Wasser- und Stromrechnungen zu bezahlen und mich selbst zu versorgen?
    Als Kind hatte ich lieber Bücher über Seefahrer und Cowboys gelesen, anstatt mich mit den Nachbarjungs herumzutreiben. Ich weiß nicht, ob das an meiner extremen Schüchternheit lag oder daran, dass ich es einfach spannender fand, den Staub der Prärie mit den Hufen meines Pferds aufzuwirbeln und windschiefe Forts vor Rothäuten zu verteidigen, als mit der Steinschleuder fremde Fenster einzuschießen oder irgendwelchen streunenden Katzen das Parfüm Krasnaja Moskwa zu injizieren.
    Mehr als dreißig Jahre waren vergangen - und was hatte sich geändert? James F. Cooper und Jules Verne standen noch immer in vorderster Reihe in meinem verstaubten Bücherregal.
    Inzwischen war ich ihnen längst entwachsen, doch das hieß nicht, dass ich mich in der realen Welt wohler fühlte, mich nun aufs Saufen, auf meine Karriere und auf die Frauen konzentrierte - wie es sich für ein Mann gehört, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Nein, ich versuchte noch immer verzweifelt, mich in diesen fiktionalen Welten zu verstecken, die sich mir wie von selbst beim
Lesen entgegenstreckten und Dreidimensionalität vorgaukelten wie die Pappfiguren in Pop-up-Kinderbüchern. Wobei ich natürlich längst aufgehört hatte, an Vernes Welten zu glauben, wohl wissend, dass sich hinter der schillernden Fassade nichts verbarg.
    Doch seit ich mich in die Geschichte des spanischen Tagebuchs verstrickt hatte, ließ seine Wahrhaftigkeit, seine Echtheit die Welt um mich herum wie ein Bühnenbild aus Pappe erscheinen. Die magische Realität des Buches machte den Gedanken an eine Rückkehr in mein eigenes, fahles, flaches Leben unerträglich.
    In der Gesellschaft jener finsteren Konquistadoren mit ihren wuchernden Bärten fühlte ich mich wohler als bei den wenigen Studienfreunden, zu denen ich erstaunlicherweise überhaupt noch Kontakt hatte. Bereitwillig hatte ich das Unglück der Spanier geteilt und war vor den Gefahren, die jene bedrohten und deren Querschläger auch in mein Leben eingedrungen waren, nicht zurückgewichen. Ich glaubte an ihr Ziel, längst war es auch das meinige geworden. Gemeinsam kämpften wir darum, den wahren Sinn der Expedition herauszufinden, und nun war mir die Ehre zuteilgeworden, als einer der Ersten davon zu erfahren.
     
    Die letzte Passage hatte ich mindestens dreimal durchgelesen. Ich fühlte mich wie ein naiver Pauschaltourist, der nach einer langen, schwankenden Busfahrt stolpernd einem braun gebrannten, sehnigen Reiseführer über einen engen, rutschigen Pfad gefolgt ist, der die ganze Welt verflucht und insgeheim bereut, dass er auf die Versprechungen der Agentur hereingefallen ist. Bis er endlich den Berg seiner Träume
erklommen hat, wo ihm der Reiseleiter eine Pause gönnt. Dort biegt er ein paar ausladende Zweige beiseite - und es eröffnet sich ihm plötzlich ein so unglaublicher, atemberaubender Anblick, dass er sich verliert und nicht weiß, wohin er zuerst blicken soll. Ein frischer Wind schlägt ihm ins Gesicht, vertreibt die Müdigkeit und schärft seine Sinne.
    Die erhabene, gleichsam ewige Größe dessen, was er vor sich sieht, macht ihm die eigene Vergänglichkeit und Bedeutungslosigkeit bewusst. Ihn erfasst der Wunsch, wenigstens einen Bruchteil dieses Gefühls einzufangen und in einen goldenen Käfig zu

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