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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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sperren. Er zieht seine idiotische Billigkamera hervor, doch als er hindurchblickt, begreift er verwirrt, dass sein Objektiv nur ein winziges Rechteck dieses grenzenlosen Raums erfasst. Hilflos richtet er den Sucher von einem Ausschnitt auf den anderen, doch was will er eigentlich - für dieses majestätische Bild ist sogar sein eigenes Blickfeld zu klein, wozu es dann auf Fotopapier im Standardformat 10x15 quetschen?
    Genauso versuchte ich nun mit meinem Verstand dieses überwältigende Bild einzufangen, das mir der Chronist endlich enthüllt hatte. Der Ritus der Initiation war vollzogen, doch war ich bereit für dieses Wissen? Sicher hatte sich auch der Autor des Tagebuchs schwer getan zu glauben, was ihm der Indio berichtet hatte - auch wenn Engel und Dämonen damals noch frei auf der Welt umherzogen und sie noch niemand in das enge Reservat namens Delirium tremens eingepfercht hatte.
     
    »… Dass dieses Wissen ein Geheimnis sei, das von Menschen, Dämonen und Göttern gleichermaßen gehütet werde. Und dass dieses
Wissen verflucht sei, ebenso wie all jene verflucht seien, die davon wissen … und dass es meine Pflicht sein würde, es weiterzugeben …«
     
    Weiterzugeben … War nicht der Zweck eines Tagebuchs, die Erkenntnisse seines Autors für andere Menschen aufzubewahren?
    Sollte ich wirklich nicht nur zufälliger Leser dieser alten Reisenotizen sein, sondern der bewusste Empfänger einer Botschaft, die mir über Jahrhunderte und Kontinente hinweg zugestellt worden war - sozusagen postlagernd? Eine unmögliche, fantastische Hypothese, und doch war sie die einzig haltbare. Nur sie ließ all diese merkwürdigen Ereignisse zu, die mein Leben in den letzten Monaten geprägt hatten. Nur sie lieferte eine Erklärung dafür und gab mir eine Vorstellung davon, was ich noch zu erwarten hatte.
    Doch obwohl ich bereits über mein Dasein als Auserwählter nachdachte, erschloss sich mir noch immer nicht die volle Bedeutung des Gelesenen. Gierig hatte ich den Köder heruntergeschluckt, ohne den stählernen Haken zu spüren, auf dem er saß. Erst jetzt, eine halbe Stunde später, machte er sich bemerkbar.
    Angenommen, dieses Tagebuch mit all dem abenteuerlichen Firlefanz war nur die Einleitung, das Vorspiel zu weiteren Offenbarungen und Prophezeiungen in späteren Kapiteln. Gesetzt den Fall, die darin beschriebene Geschichte entsprach der Wahrheit und, mehr noch, die merkwürdigen letzten Passagen waren nicht im übertragenen Sinne, sondern wörtlich zu verstehen. Was bedeutete dies? Ich versuchte, die ganze Geschichte von Anfang an zu rekonstruieren …

    Ein spanischer Adliger, ausgesandt, um Bücher und Götzenstatuen der Maya zu erbeuten, war ebenso wie seine Kameraden und Untergebenen zur Marionette gewisser Mächte geworden, die mehr Einfluss hatten als die spanische Krone oder die katholische Kirche, in deren Auftrag er zu handeln glaubte. Diego de Landa hatte ihm das eigentliche Ziel der Expedition verheimlicht und somit bewiesen, dass er ein ganz anderes Spiel spielte, dessen Sinn und Zweck nur ihm allein bekannt waren.
    Der spätere Bischof von Yucatán hatte die Abordnung eines großen militärischen Kontingents für die Mission mit der Gefahr eines indianischen Aufstands begründet. Vielleicht bestand diese Bedrohung ja wirklich, aber meine Intuition sagte mir, dass dies nur ein Vorwand für Landas dunkle Machenschaften war. Schon Monate vor der Geschichte mit dem Götzentempel im Keller des Klosters von Maní hatte er diese Pläne geschmiedet. Informanten hatten ihm die Existenz einer alten Maya-Schriftrolle mit düsteren und furchtbaren Weissagungen zugetragen, deren Besitz ihm unbegrenzte Macht über die Seelen der Maya, über Yucatán und über noch viel mehr verhieß.
    Hatte er gewusst, wo das Manuskript zu suchen war? Sicher, Sondierungstrupps waren von Maní aus in alle Regionen Yucatáns ausgeschwärmt, aber die Gruppe, die er in Richtung Calakmul schickte, war die größte gewesen. Die anderen dienten womöglich nur zur Tarnung, und die Vernichtung Tausender Bücher durch jenes grandiose und zugleich barbarische Autodafé war nur der Versuch gewesen, das Verschwinden des einen, wichtigsten Buches zu verschleiern. Landa wollte die Schriftrolle um jeden Preis,
und nichts hielt die Konquistadoren davon ab, seinen Befehl auszuführen - weder das rätselhafte Verschwinden der halben Mannschaft nach jenem überraschenden Gewitter noch die Warnungen der verängstigten Indios (offenbar waren die Pläne des

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