Summer and the City - Carries Leben vor Sex and the City: Band 2 (German Edition)
hinter seinem Schreibtisch Platz nimmt.
»So, Carrie …« Er fingert an seinem Schnurrbart herum, als müsse er sich vergewissern, dass er noch da ist.
Keine Angst, der ist angewachsen, bin ich versucht zu sagen, verkneife es mir aber.
»Dann erzählen Sie doch mal. Wie fühlen Sie sich denn so in unserem Kurs?«, fragt er.
»Gut. Wirklich gut«, antworte ich vorsichtig. Solange ich keine Ahnung habe, was er eigentlich von mir will, halte ich es für klüger, mich mit meinen Äußerungen etwas zurückzuhalten.
»Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie beschlossen haben, Schriftstellerin werden zu wollen?«
»Schon als Kind, glaube ich.«
»Glauben Sie?«
»Nein … ich bin mir ganz sicher.« Warum fühlen sich Gespräche mit Lehrern immer an wie Kreuzverhöre?
»Und aus welchem Grund?«
Ratlos schiebe ich die Hände unter die Oberschenkel und denke angestrengt nach. Was soll man auf so eine Frage antworten? Weil ich mich für ein Genie halte und davon überzeugt bin, dass die Welt nur darauf wartet, meine Texte zu lesen, wäre anmaßend und stimmt außerdem nicht. Weil ich Literatur liebe und gern den nächsten großen amerikanischen Roman schreiben würde, entspricht zwar der Wahrheit, aber das bekommt er vermutlich von jedem seiner Studenten zur Antwort. Warum wären wir sonst im Kurs für kreatives Schreiben? Weil ich glaube, dass das Schreiben meine Berufung ist, klingt irgendwie zu pathetisch. Aber warum will er das überhaupt wissen? Erkennt er denn nicht, dass ich zumindest das Zeug zur Schriftstellerin habe?
Unterdessen beginnt Viktor Greene unruhig auf seinem Bürostuhl hin und her zu rutschen und immer hektischer an seinem Schnurrbart herumzuzupfen. Die Tatsache, dass ich überhaupt nichts sage, sondern ihn nur mit großen Augen ansehe, macht ihn sichtlich nervös.
»Aus welchem Grund haben Sie einen Schnurrbart?«, beantworte ich die Frage schließlich mit einer Gegenfrage.
»Wie bitte?« Seine bleichen, knochigen Fingern zucken zu seiner Oberlippe.
»Sehen Sie? Darauf fällt Ihnen erst einmal auch keine Antwort ein. Aber wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie vermutlich zu dem Schluss kommen, dass er ein Teil von Ihnen ist, etwas, das einfach zu Ihnen gehört. Verstehen Sie, was ich meine?« Ich weiß nicht, welcher Teufel mich reitet, so mit einem Lehrer zu sprechen, andererseits sind wir hier nicht mehr in der Highschool. Ich bin aus freien Stücken in diesem Kurs. Mehr noch: Ich habe mir meinen Platz darin verdient.
»Haben Sie etwas gegen meinen Schnurrbart?«, fragt er irritiert.
»Nicht doch, nein«, erwidere ich hastig. »Ich wollte nur … nein, er passt wirklich ganz hervorragend zu Ihnen.«
»Finden Sie?«
Viktor Greene wird doch nicht etwa eitel sein? Schwer vorstellbar bei jemandem, der freiwillig derart sein Gesicht verunstaltet.
»Unbedingt«, beteure ich und nicke bekräftigend.
Er lächelt geschmeichelt.
Großer Gott, was habe ich mir da nur wieder eingebrockt?
Wenn Viktor Greene wüsste, wie oft Ryan und ich uns schon über seinen Bart lustig gemacht haben. Ich habe ihm sogar einen Namen gegeben – »Waldo«, nach dem Schriftsteller Ralph Waldo Emerson – und mir die wildesten Geschichten über ihn ausgedacht. Waldo ist nämlich kein gewöhnlicher Schnurrbart. Nein, er führt ein abenteuerliches Eigenleben. Manchmal schleicht er sich ohne Viktor in den Zoo, um seine Lieblingstiere,
die Walrösser, zu besuchen. Oder er rockt im Studio 54 ab. Vor Kurzem war er sogar im Benihana, wo ihn der japanische Koch für eine Ratte hielt und mit dem Hackmesser in zwei Stücke hieb.
Aber Waldo hat überlebt. Er ist unsterblich und verfügt über wundersame Selbstheilungskräfte.
»Eigentlich wollte ich auf etwas anderes hinaus …«, greife ich mutig den Faden wieder auf. »Ihr Schnurrbart ist ein bisschen so wie mein Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Er ist ein Teil von mir und macht mich erst zu dem, was ich bin.«
Viktor nickt nachdenklich. »Ja, ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen.«
Ich lächle erleichtert.
»Um ganz ehrlich zu sein, hatte ich die Befürchtung, Sie seien nur nach New York gekommen, um berühmt zu werden.«
Wie bitte?
Jetzt ist es an mir, irritiert zu sein und auch ein bisschen gekränkt. »Was hat die Tatsache, dass ich Schriftstellerin werden will, damit zu tun, ob ich berühmt werden will?«
»Nun ja.« Er befeuchtet sich die Lippen. »Es gibt eine Menge Menschen, die fälschlicherweise glauben, Schriftsteller würden ein
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