Summer and the City - Carries Leben vor Sex and the City: Band 2 (German Edition)
antwortet er, als wäre nichts passiert.
Ich sinke ins Polster und schüttle den Kopf.
Was für ein Abend. Vielleicht ist es doch gar kein so schlechter Zeitpunkt, der Stadt für ein paar Tage den Rücken zu kehren.
23
»Ach«, sagt meine jüngste Schwester Dorrit und blickt kurz von der Zeitschrift auf, in der sie gerade blättert. »Du bist wieder zu Hause.«
»Sieht ganz so aus.« Ich stelle den Kofer ab, lege meine Tasche auf den Tisch und öfne aus reiner Gewohnheit den Kühlschrank. »Macht sich hier eigentlich noch irgendjemand die Mühe, einkaufen zu gehen?« Fragend halte ich eine fast leere
Milchflasche und ein verschimmeltes Stück Käse hoch, das ich darin gefunden habe.
»Nein, niemand.« Dorrits Blick wandert anklagend zu unserem Vater, der aber nichts von ihrer schlechten Laune zu bemerken scheint.
»Ist das schön, dass alle meine Mädchen mal wieder zu Hause sind!«, ruft er ergrifen.
Wenigstens in dieser Hinsicht ist mein Vater ganz der Alte geblieben. Er ist immer noch extrem rührselig. Ich bin froh darüber, denn ansonsten habe ich das Gefühl, dass ein Außerirdischer von ihm Besitz ergrifen hat.
Erstes Indiz: Er hat eine Jeans an. Mein Vater hat in seinem ganzen Leben noch nie eine Jeans getragen. Das hätte meine Mutter niemals zugelassen. Außerdem hat er sich eine Sonnenbrille von Ray Ban in die Haare geschoben. Aber das Verwirrendste an seiner gesamten Aufmachung ist die Jacke, die er trägt. Es ist eine Bikerjacke von Members Only. Und sie ist orange. Als ich aus dem Zug gestiegen bin, hätte ich ihn fast nicht wiedererkannt.
Er steckt ofenbar in einer schweren Midlife-Crisis.
»Wo ist Missy?«, frage ich und versuche seine merkwürdige Erscheinung zu ignorieren.
»In der Musikschule. Stell dir vor, sie spielt jetzt sogar Geige«, berichtet mein Vater stolz. »Außerdem komponiert sie gerade eine Symphonie.«
»Sie hat in nur einem Monat Geige spielen gelernt?«, frage ich verblüfft.
»Sie ist eben unglaublich talentiert«, sagt mein Vater.
Und was ist mit mir? Bin ich etwa nicht talentiert?
»Sie ist eben unglaublich talentiert«, äfft Dorrit ihn nach.
»Du bist natürlich auch begabt, Liebes.« Mein Vater lächelt wohlwollend.
»Komm, Dorrit«, sage ich und greife nach meinem Kofer. »Du kannst mir beim Auspacken helfen.«
»Keine Zeit.«
»Dorrit!« Ich sehe sie vielsagend an und nicke verstohlen in Richtung unseres Vaters.
»Meinetwegen.« Seufzend schlägt sie die Zeitschrift zu und folgt mir nach oben.
Mein Zimmer sieht noch genauso aus, wie ich es vor ein paar Wochen verlassen habe. Einen Moment lang schwelge ich in Erinnerungen und gehe zum Regal, um mit den Fingerkuppen über die Rücken der alten Bücher zu streichen, die mir meine Mutter geschenkt hat, als ich ein kleines Mädchen war. Als Nächstes werfe ich einen Blick in meinen Kleiderschrank und stutze. Vielleicht irre ich mich ja, aber ich habe den Eindruck, die Hälfte meiner Kleider fehlt. »Wo sind meine Sachen?« Ich drehe mich zu Dorrit um und stemme die Hände in die Hüften.
Sie zuckt mit den Achseln. »Missy und ich haben uns ein paar Teile ausgeliehen, weil du doch jetzt in New York wohnst. Wir dachten, du brauchst sie nicht mehr.«
»Ach? Und was, wenn ihr da falsch gedacht habt?«
Wieder zuckt sie mit den Achseln.
Ich beschließe, nicht weiter darauf einzugehen, weil ich keine Lust habe, mich gleich mit Dorrit zu streiten – wobei ich mir sicher bin, dass wir bis zu meiner Abreise am Montag unweigerlich aneinandergeraten werden, wenn sie sich weiterhin so unausstehlich auführt. Aber jetzt habe ich erst einmal andere Prioritäten. Ich muss herausfinden, was es mit der angeblichen Freundin meines Vaters auf sich hat.
»Was ist eigentlich mit Dad los?«, frage ich und setze mich im Schneidersitz auf mein Bett, das mir plötzlich winzig vorkommt. Wie habe ich es bloß geschafft, all die Jahre darin zu schlafen?
»Das sieht man doch. Er ist total übergeschnappt«, antwortet Dorrit.
»Warum zieht er auf einmal Jeans an? Und woher hat er diese Jacke von Members Only? Er sieht total verkleidet aus. Mom hätte niemals zugelassen, dass er sich so anzieht.«
»Die Sachen hat er von Wendy.«
»Wendy?«
»Von seiner Freundin.«
»Dann hat er also wirklich eine Freundin?«
»Scheint so.«
Ich stoße einen tiefen Seufzer aus. Wie kann ihr das alles nur so gleichgültig sein? Es ist, als würde nichts zu ihr durchdringen. Hofentlich hat sie wenigstens mit den Ladendiebstählen aufgehört.
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