SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
dem Mobiltelefon, welches seine Büronummer als Anrufer anzeigte. Tony erhaschte einen Blick auf die Uhr, während er den Anruf entgegennahm. Es war 8.16h.
«Das wird wohl Miss Kelly sein», sprach er leise zu sich selbst.
«Ja?» Seine Stimme war belegt und klang wie ein rollender Donner. Er räusperte sich.
«Mister Levine? Guten Morgen, hier spricht Sandra Kelly. Alles in Ordnung? Geht es Ihnen nicht gut?» Seine Assistentin, welche für ihn die Administration, den Papierkram und die gesamte Terminplanung erledigte, schien ein wenig besorgt. Eine arbeitsame End-20erin mit langen hellbraunen Haaren, die ihm jeden Tag aufs Neue das Leben rettete mit ihrem Sinn für Organisation. Tony vertraute ihr blind und mochte insbesondere ihre natürliche Art. Sie schminkte sich dezent und schien sich ihrer Attraktivität nicht bewusst zu sein. Ein hübsche Frau, aber nicht auffällig. Eigentlich hatte er sich das noch nie so richtig vor Augen geführt.
«Oh, Miss Kelly, entschuldigen Sie! Nein, ich komme heute nicht ins Büro, ich werde von zu Hause aus arbeiten. Ich bin gerade sehr beschäftigt. Habe ich heute irgendwelche Termine?» Tony hörte sich selbst sprechen und fühlte sich unbehaglich, da er quasi nie spontan das Büro mied. Andererseits tat es gut, die vertraute Stimme seiner Assistentin zu hören nach dem ganzen Tumult des vergangenen Wochenendes. Sie war so etwas wie sein Fels in der Brandung.
«Uh, das tut mir leid! Nein, kein Problem, ich habe mir nur Sorgen gemacht, da Sie ja normalerweise früher da sind und Bescheid geben, wenn Sie sich verspäten. Es freut mich zu hören, dass Sie okay sind.»
Ihre Stimme klingt wie ein Leuchten, wie wenn sie ständig ein Lächeln auf dem Gesicht hätte. Hm …, eigentlich *hat* sie immer ein Lächeln drauf am Telefon, wenn ich's mir recht überlege. Kein Wunder schwärmen alle Kunden von ihr. Na ja, liegt ja nicht nur an ihrer Stimme. Kann mir ja nicht irgend ’nen Drachen ins Büro setzen.
Tony zwang sich zu einer Antwort. «Nein nein, keine Sorge! Bei mir ist alles okay. Es gibt da ein paar dringliche private Dinge, um die ich mich kümmern muss. Ich werde heute nicht ins Büro kommen, wir sehen uns morgen.»
Tony beendete das Gespräch und legte das Telefon auf den Salontisch. Er schaute nach hinten auf die Couchlehne und wunderte sich.
Bin ich vor der Glotze eingepennt? Ist mir ja noch nie passiert! Wohl Nachwirkungen von dem Zeug, das mir diese Schlampe verabreicht hat.
Der aufflammende Zorn machte ihn auf einen Schlag hellwach.
Alles nur wegen dieses verfluchten hinterhältigen Miststücks! Dich werde ich schon noch in die Finger kriegen, dann werden wir sehen was ich mit dir anstelle!
Er schnaubte und knurrte wie ein wildes Tier, der Kopf rot wie eine Tomate.
Verrecken soll sie! Drecksweib! Obwohl – wär doch fast ein bisschen schade, scharf genug war sie ja. Vielleicht hat sie auch jemand dazu gezwungen. Alles möglich. Man sieht sich immer zweimal, wart du nur!
Er schnaubte erneut und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, erstaunt über seinem Wutausbruch. Es war lange her dass er sich dermaßen ereifert hatte. Auf eine merkwürdige Weise verlieh ihm das ein Gefühl von Leben.
Er sprang er auf, ging hinüber zum Media Server, wählte Rebirth von A Forest Mighty Black und drehte die Lautstärke auf.
In die Küche warf er die schwere 2000-Dollar-Espressomaschine an. Er presste den breiten Kolben auf das Dampfventil und stellte eine der schwarzen, schmalen Keramiktassen darunter. Bald tröpfelte ein fantastisch duftender dunkelbrauner Saft aus der Rinne an der Unterseite des Kolbens. Tony füllte nur die halbe Tasse mit dem Dampfgebräu, trank sie in einem Zug leer und machte sich noch einen weiteren Sud. Wie ferngesteuert, schaltete er den Apparat wieder aus. Nach und nach kehrten seine Lebensgeister zurück, und mit ihnen die Erinnerungen an den vorigen Tag. Der Fed-Ex-Bote, das Paket.
Carl!
Er marschierte ins Badezimmer, zog sich aus, und warf die nicht mehr ganz frischen Kleider in die Ecke. Er hob den Klodeckel, stellte sich breitbeinig hin. «Hach, wie göttlich ist es zu pissen nach so einer Nacht! So einfach kann eine Wohltat sein.» Er redete leise vor sich hin.
Wer hatte ihm kürzlich erzählt, Selbstgespräche zu führen, seien die ersten Anzeichen von Wahnsinn? Tony glaubte nicht daran. Sein Zustand und die frühe Uhrzeit waren die besten Voraussetzungen für eine kleine
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