Summer Sisters
sie hieß.
»Bryn kennst du ja, oder?« Jo ließ Bryn ins Haus.
»Ja, klar.« Polly begann, am Daumennagel zu knabbern. Bryn schien nicht besonders erfreut darüber, dass sie hier war. Polly wusste, dass diese Bryn zu den Mädchen gehörte, mit denen Jo seit Ende des siebten Schuljahrs rumhing. Sie hatte noch nie verstanden, was Jo an ihnen fand.
»Soll ich uns was zu trinken holen?«, fragte sie, weil es offensichtlich war, dass Bryn mit Jo dringend über irgendwas Wichtiges reden wollte - und zwar ohne Polly.
Sie ließ sich absichtlich lange Zeit damit, den frischen Eistee einzuschenken. Sie hätte gern gewusst, ob Jos Mutter auf der Terrasse war. Judy verhielt sich ihr gegenüber im Moment freundschaftlicher als Jo.
Vorsichtig machte sie sich mit den drei Gläsern auf den Weg zu Jos Zimmer, aus dem die Stimmen der beiden Mädchen drangen. Ihre Schritte wurden langsamer, als sie hörte, was Bryn sagte. Sie wollte nicht lauschen, aber Bryns Stimme war ziemlich laut und Polly hatte ein besonders gutes Gehör.
»Was? Du bist gestern Abend nicht mitgegangen?«, fragte Bryn. »Du machst wohl Witze!«
Jo sagte etwas, was Polly nicht verstehen konnte.
»Wegen ihr? Das ist doch nicht dein Ernst. Ich weiß ja, dass ihr mal befreundet wart, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie immer noch deine Busenfreundin ist!« Bryn lachte.
Jos Antwort konnte Polly wieder nicht verstehen.
»Echt, Jo, sie ist doch wirklich völlig daneben.«
Polly wollte keinen Schritt mehr vorwärts machen, aber sie konnte sich auch nicht zwingen, rückwärts zu gehen. Es war ziemlich offensichtlich, dass Bryn über sie redete.
»Was will sie überhaupt hier?«, hakte Bryn nach Jos unverständlicher Antwort nach.
Der Eistee schwappte in den Gläsern, so sehr zitterten Pollys Hände. Sie wollte nicht, dass man sie hörte. Sie wollte gar nicht hier sein. Aber sie konnte weder vor noch zurück.
Atemlos wartete sie darauf, dass Jo sie verteidigte. Vielleicht waren sie nicht mehr so dicke Freundinnen wie früher und vielleicht war Jo jetzt lieber mit Mädchen wie dieser Bryn zusammen. Aber das, was sie und Jo verband, war trotzdem wahre Freundschaft. Das konnte man nicht einfach leugnen.
»Ich hab sie nicht eingeladen. Sie ist einfach gekommen. Mir wär es lieber, sie würde wieder nach Hause fahren.«
Jos Worte trafen Polly wie winzige scharfe Messer.
»Sie ist einfach hergekommen, obwohl ihr gar keine Freundinnen mehr seid?«
Einen Moment lang war es still.
Dann kam Jos Antwort.
»Wir waren mal Freundinnen.«
Jo hörte den lauten Krach, das Splittern von Glas und schnelle Schritte. Sie rannte aus ihrem Zimmer an zerbrochenen Gläsern und einer Lache aus Eistee vorbei in die Küche.
Dort stand Polly mit einer Rolle Küchenpapier in der Hand.
Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie stürzte an Jo vorbei in den Flur, kniete sich hin und las ungeschickt die Scherben auf.
Wie gelähmt sah Jo ihr zu.
»Polly, was ist passiert?«
Aber sie kannte die Antwort. Sie wusste, was passiert war.
»Ich hab die Gläser fallen lassen«, sagte Polly zum Boden. Jo hörte den Schluchzer in Pollys Stimme, kniete sich ebenfalls hin und hob Scherben auf.
»Polly …«
Polly sammelte die vollgesogenen Papiertücher auf, brachte sie zum Mülleimer in der Küche und ließ sie mitsamt den Glasscherben hineinfallen. Dann ging sie in Jos Zimmer, an Bryn vorbei, die auf dem Bett saß und in einer Zeitschrift blätterte, und holte ihren Koffer.
Jo kniete auf dem Boden, hielt die Glasscherben in der Hand und sah stumm zu.
Als sie aufstand, wurde ihr einen Moment lang schwindelig. Sie spürte einen sonderbaren Druck, der ihr die Luft nahm. Gleich würden ihr die Beine wegknicken und sie würde der Länge nach hinfallen.
Sie sah zu, wie Polly mit dem Koffer in der Hand das Haus verließ. Das feuchte Strandtuch hatte sie sich über die Schulter gehängt. Mit dem dunklen Rock und den Kniestrümpfen wirkte sie vor der Düne merkwürdig fehl am Platz. Jo ging ihr auf nackten Füßen ein paar Schritte hinterher, die Scherben hielt sie noch immer in der Hand. Dann blieb sie stehen und sah Polly nach, wie sie den Strand hinunterging und immer kleiner wurde.
Jo wartete sehnsüchtig auf ein Gefühl der Erleichterung, weil Polly gegangen war. Sie wollte vergessen, was passiert war, und sich einreden, dass Polly so gut wie gar nichts von ihrem
Gespräch mit Bryn mitbekommen hatte. Sie wollte ins Haus zurückgehen und mit Bryn darüber lachen, aber sie konnte sich
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