Summer Sisters
ratlos. »Na, weil sie sich trennen.« Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
Jo legte den Löffel hin. »Wer hat dir das erzählt?«
»Deine Mutter. Beim letzten Mal, als ich angerufen habe. Ich hab sie gefragt, wie es ihr geht, weil sie sich irgendwie so traurig angehört hat.«
»Und daraufhin hat sie es dir erzählt?«
»Sie dachte, ich wüsste es schon. Sie hat gedacht, du hättest es mir gesagt.«
Jo wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Alles, was ihr dazu einfiel, war unangenehm und nicht besonders nett.
Polly hatte mit ihrer Mutter darüber gesprochen. Dabei sprach sie nicht mal selbst mit ihrer Mutter darüber. Und jetzt war Polly gekränkt und verstand nicht, warum Jo ihr nichts gesagt hatte.
»Eigentlich ist es gar nicht so viel anders«, murmelte Jo. Sie sah auf ihre Cornflakes, aber der Appetit war ihr vergangen.
»Nicht?«
Jo schüttelte den Kopf. Auf einmal war sie schrecklich müde und wusste nicht, ob sie es überhaupt noch bis zu ihrem Bett schaffen würde.
»Alles in Ordnung?« Polly sah sie besorgt an.
Jo stand auf. »Ja, ich bin nur ein bisschen müde. Die Schicht heute war anstrengend. Meine Füße tun total weh.«
»Willst du lieber schlafen gehen?«
Pollys Blick war voller Verständnis. Sie hätte sauer sein und ihre Wut an Jo auslassen oder nachbohren können, was genau mit Jos Eltern los war, aber sie tat es nicht. Sie wollte Jo nicht wehtun.
»Glaub schon.« Jo fühlte sich mies. Aus viel zu vielen Gründen. Außerdem hatte sie ein schlechtes Gewissen. »Danke, dass du gekommen bist. Pollymaus. Das war lieb.«
Polly nickte und folgte Jo in ihr Zimmer. Jo sah, dass Polly bereits die Gästematratze hervorgezogen und sich eine Bettdecke und ein Kopfkissen geholt hatte. Ihr Koffer stand neben der Kommode. Sie hatte schon oft hier übernachtet.
»Wir können ja morgen vielleicht zum Strand gehen«, schlug Polly vor.
»Okay.«
Jo fragte sich, wie lange Polly wohl bleiben wollte. Von Schuldgefühlen gequält, durchforstete sie ihren Kopf nach irgendeiner Möglichkeit, Polly freundlich klarzumachen, dass es ihr lieber war, wenn sie wieder heimfuhr.
Als sie im Dunkeln lagen, konnte Jo nicht einschlafen. An Pollys Atemzügen merkte sie, dass auch sie nicht schlief, auch wenn sie nichts sagte.
»Tut mir leid, dass ich heute nichts mehr unternehmen wollte«, sagte Jo.
Polly nickte im Dämmerlicht.
»Nicht schlimm. Ich versteh das. Ich weiß doch, dass du es momentan ziemlich schwer hast.«
Liebe Polly, ich hasse diese Carly. Ich hasse sie ehrlich. Sie hat sich, ohne zu fragen, mein rosa Tuch genommen, und als ich sie gesucht habe, hab ich sie im Wald gefunden - und jetzt rat mal, mit wem! Mit Noah!!! Ohne Witz. Ich bin nicht lang genug geblieben, um zu sehen, was die beiden gemacht haben, aber ich kann es mir denken. Sie ist die mieseste Schlampe aller Zeiten! Der einzige Junge, mit dem sie noch nicht geknutscht hat, ist Andy, und das auch nur deswegen, weil er noch im Stimmbruch ist und kiekst!
Ich hasse sie und ich hasse Noah. Ich hasse zelten und wandern und klettern und meinen Rucksack und das Zelt und die Wanderstiefel.
Liebe, Rotz und Tränen von deiner alten Freundin
Ama
Lieber Papa, danke für deinen Brief. Der Wald und die Berge sind wirklich majestätisch, wie es so schön heißt. Du hast recht damit, dass diese Tour eine tolle Gelegenheit für mich ist, unsere neue Heimat besser kennenzulernen.
Liebe Grüße an Mama und Bob und Esi und an dich
Ama
Den ersten Brief warf Ama sofort weg. Sie hatte ihn sowieso nie abschicken, sondern nur Dampf ablassen wollen, und das konnte man bei Polly immer gut; sie war die beste und unvoreingenommenste Zuhörerin, die man sich vorstellen konnte. Den zweiten Brief steckte sie in die Tasche, um ihn in Port Angeles abzuschicken.
Als Jo aus dem Schlaf hochschreckte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war.
Einen Augenblick lang war sie panisch und orientierungslos, weil sie glaubte, sie wäre zu Hause in Bethesda und Finn würde aus dem Zimmer nebenan nach ihr rufen. Sie erkannte seine Stimme sofort, obwohl sie sie so lange nicht gehört hatte. Ihr Herz raste, als sie sich im Bett aufsetzte. Langsam erkannte sie ihre Umgebung. Die Sonne schien durchs Fenster. Sie hörte das Rauschen der Wellen in der Ferne. Allmählich fiel ihr wieder ein, wo und in welchem Jahr sie sich befand. Aber es war nicht immer eine Erleichterung, wenn man wieder wusste, wo man war.
»Alles in Ordnung?« Polly kam
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