Summer Sisters
Obwohl sie in der letzten Zeit so wenig miteinander zu tun gehabt hatten, wusste sie, dass Ama sich ihre Leidensgeschichte anhören würde und kein bisschen schadenfroh wäre. Ama gehörte zu den Menschen, die selbst traurig wurden, wenn eine ihrer Freundinnen traurig
war. Aber Ama war auf ihrer Wanderung durch die Wildnis und Jo konnte sie nicht anrufen.
Stattdessen beschloss sie, ihr auf der Rückseite einer bunten Kinderspeisekarte aus dickem Papier einen Brief zu schreiben. Sie schrieb nichts über ihren Job oder die Sache mit Zach, sondern erzählte Ama von ihren Eltern.
»Angeblich ist es nur eine Trennung auf Zeit, aber ich hab so ein Gefühl, dass sie endgültig ist. Sie haben ja lange genug dafür geübt.« Am Schluss schrieb sie: »Viel Spaß mit dem Malen nach Zahlen auf der Vorderseite!«
Sie klaute sich einen Briefumschlag von Jordans Schreibtisch - zusammen mit zwei Schachteln TicTacs - und schrieb Amas Adresse darauf. Ihre Mutter würde sicher dafür sorgen, dass sie den Brief bekam.
Hidalgo brachte ihr einen Teller Krabbensuppe mit einer ganzen Packung von den kleinen Crackern, die sie so gern aß.
»Danke«, sagte sie und versuchte zu lächeln. »Gracias.«
Am liebsten hätte sie geheult, dabei wusste sie nicht einmal genau, warum.
Warum hatte sie Polly nicht noch an dem Tag angerufen, an dem sie so überstürzt abgereist war, und das Telefon so lange klingeln lassen, bis sie rangegangen wäre, und sich dann bei ihr entschuldigt? Warum hatte sie ihr kein Versöhnungspäckchen mit Schokokeksen und anderen Leckereien geschickt?
Am liebsten hätte Jo alles rückgängig gemacht, was sie an jenem Nachmittag zu Bryn gesagt hatte. Aber sie wusste, dass sich jedes Wort unauslöschlich in Pollys Seele eingebrannt hatte. Selbst wenn Polly ihr verzeihen und nie mehr ein Wort über die Sache verlieren würde - sie würde es niemals vergessen.
Irgendwann machte sie sich auf den Heimweg.
»Hey, Goldie.«
Plötzlich stand Zach vor ihr auf der Promenade.
Gegen ihren Willen machte ihr Herz bei seinem Anblick einen Sprung.
»Hi«, sagte sie.
»Was machst du so?«
Ich sollte stinksauer auf dich sein, weil du ein Mistkerl bist!
Warum machte es sie trotzdem so glücklich, ihn zu sehen?
»Ich geh nach Hause.«
Er sah auf sein Handy. »Du hast noch genau fünfundzwanzig Minuten, bis du da sein musst.«
Jo durchströmte ein warmes Gefühl. Es freute sie, dass er das noch wusste. Mein Gott, es ist doch auch erst ein paar Tage her, schimpfte sie sofort mit sich selbst. Warum sollte er das nicht mehr wissen?
»Komm, ich bring dich nach Hause. Sollen wir am Strand entlanggehen?«
»Und was ist mit deiner Freundin?«
Eigentlich hatte die Frage provokant und frech klingen sollen, aber sie hörte sich einfach wie eine ganz normale Frage an.
Zach setzte sich in Bewegung und sie ging neben ihm her.
»Na ja, aber wir machen ja auch nur einen kleinen Spaziergang«, sagte sie und ging schneller, um mit ihm Schritt halten zu können.
»Das hört sich ja an, als ob ich verheiratet wäre oder so.« Zach fasste nach ihrer Hand und schwang sie hin und her. »Glaub mir, das bin ich nicht.«
Das reicht aber noch nicht, sagte eine Stimme in ihrem Kopf, die sich wie die von Ama anhörte.
Du solltest ihm überhaupt nicht mehr trauen. Er verdient dich nicht , meldete sich eine Stimme, die wie die von Polly klang.
Aber Jo zog ihre Hand nicht zurück. Damals im Bus, an ihrem ersten Abend, hatte Zach gesagt, sie hätte schöne Hände. Sie wollte ihm vertrauen.
Aber es ist kein gutes Zeichen, wenn es so schwierig ist, ihm zu vertrauen , sagte Ama zu ihr.
Haltet die Klappe! , sagte sie zu Ama und Polly.
Nachdem sie ein paar Meter über den Strand gegangen waren, führte Zach sie wieder hoch in Richtung der beleuchteten Promenade statt wie sonst immer zum Meer. Jo war überrascht, bis sie bemerkte, dass sein Ziel nicht die Promenade war, sondern eine Stelle darunter, dort wo die Promenade über den Strand ragte. Wo es dunkel und kühl und etwas feucht war. Sogar der Sand fühlte sich hier anders an.
»Hey, Goldie.«
»Ja?«
»Ich denk den ganzen Tag nur an dich.«
Wenn du nicht gerade mit Effie rumknutschst , schoss es Jo durch den Kopf, aber das sagte sie nicht laut. Sie war so bedürftig nach seiner Aufmerksamkeit, dass es ihr fast Angst machte. In diesem Moment war er bei ihr und nur bei ihr, und dieses Gefühl wollte sie auskosten.
Sie ließ es zu, dass er auch noch ihre andere Hand nahm und beide festhielt. Er
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