Summer Westin: Todesruf (German Edition)
gesagt. Aber es klang für mich nicht so, als wäre sie ernsthaft in ihn verliebt.«
Als ihr auffiel, wie bestürzt ihr Freund sie ansah, fügte sie hinzu: »Du weißt schon, was ich meine. Ach ja, sie hat auch noch erwähnt, dass sie ihren Naturwissenschaftslehrer mag … Martinson?«
Joe wirkte überrascht. »Das freut mich, dass sie einen ihrer Lehrer mag. Sie hatte es nicht leicht, nachdem wir von Flagstaff hierher gezogen sind. Es war ihr ziemlich peinlich, am Sommerunterricht teilnehmen zu müssen, um dieses Jahr in die achte Klasse versetzt zu werden.«
»Sie meinte, der Sommerunterricht wäre ganz okay. Und Martinson wäre echt gut.«
»Echt gut?« Joe machte ein besorgtes Gesicht. »Sie redet oft von ihm, jetzt, wo ich darüber nachdenke. Danke, Sam.« Er marschierte los, fuhr sich mit der Hand durch das glatte schwarze Haar und murmelte: »Martinson?«
In der Schreinerei Winner herrschte Ruhe, seit sie alle fünf Podien zusammengebaut hatten. Die Gerüste aus Kiefernholz, eins bereits dunkel gestrichen, standen in der Werkstatt verteilt herum und ließen den großen, leeren Raum wirken, als warte er auf eine Veranstaltung.
Beim Anblick des traurigen Zustands seines Geschäfts zog sich der Knoten zwischen Jack Winners Schulterblättern noch fester zusammen. Er wusste aus Erfahrung, dass der Schmerz im Laufe des Tages immer schlimmer werden würde. Noch vor ein paar Jahren war er im Geld geschwommen. Überall in der Branche hatte man ihn gekannt. Er hatte maßgefertigte Theaterbühnen für reiche Hausbesitzer gebaut und verkabelte Schreibtische für gut bezahlte leitende Angestellte. Aber das Geschäft war zurückgegangen, und jetzt hatte er gerade mal diesen einen mickrigen Auftrag für fünf blöde Podien und einen noch nicht bestätigten für einen maßgefertigten Restauranttresen. Heutzutage floss das ganze Geld aus dem Land heraus – zu diesen Kameltreibern im Irak und Afghanistan oder zu diesen Faulenzern und Habenichtsen in Haiti oder Afrika.
Die paar Dollar, die ihm die Schreinerei einbrachte, gingen überwiegend für Steuern drauf. In anderen Ländern bekam man wenigstens etwas für seine Steuern, Gesundheitsfürsorge oder endlosen bezahlten Urlaub. Aber nicht in Amerika. Nein, die verdammte US-Regierung übergab die Steuern ihrer Bürger einfach stinkreichen Bankern im eigenen Land oder Ölscheichs und Juden im Ausland. Gleichzeitig dachte sich die Regierung immer neue Möglichkeiten aus, der hart schuftenden Bevölkerung das Geld aus der Tasche zu ziehen, bis niemand mehr von seiner Arbeit leben konnte. Jetzt wollten sie auch noch die Sozialversicherung abschaffen, in die alle, die er kannte, seit ihrer Teenagerzeit eingezahlt hatten. Und diese Journalisten brachten nicht einmal den Mut auf, es als das zu bezeichnen, was es war: Diebstahl.
Der Hurrikan Katrina war das perfekte Beispiel dafür gewesen, wie gleichgültig der Regierung ihre Bevölkerung war – sie hatte die armen Leute einfach sterben lassen. Er hatte gedacht, das würde die Menschen endlich aufrütteln und ihnen klarmachen, wie schlimm es um dieses Land bestellt war. Aber nein, sie wählten genau dieselben Politiker wieder, die den Bankern und den Börsenmaklern an der Wall Street das Geld in den Rachen warfen und den Millionären die Steuern erließen. Die Regierung tat nicht das Geringste, um den einfachen Leuten zu helfen, die keine Arbeit fanden oder nicht genug verdienten, um den Kredit für ihr Haus abzubezahlen. Kleine Geschäftsinhaber wie er bekamen nicht einmal Arbeitslosenhilfe. Die hatten eben Pech gehabt. Die Amerikaner mussten endlich aufwachen. Die Regierung, die eigentlich für ihre Bürger sorgen sollte, war nur noch für die großen Firmen da und für alle anderen, nur nicht für das amerikanische Volk.
Allie und er hatten dauernd über das Thema geredet. Sie hatte vor Wut darüber gekocht, wie das Veteranenamt mit ihrem Vater umgegangen war, über die Weigerung der Bürohengste, sein Knieproblem als Folge seines Dienstes in der Armee anzuerkennen, nur weil die Verschlimmerung erst später eingetreten war. Sie hatte bis nach Seattle fahren müssen, um einen Job zu finden, wo sie mehr als nur einen Hungerlohn bekam. Plötzlich traten ihm Tränen in die Augen. Er biss die Zähne zusammen und versuchte, an etwas anderes zu denken. Wie etwa an das Geld, das er in ein paar Wochen bekommen würde. Sollte er es hier in sein Geschäft stecken oder diesem Ort lieber endlich entfliehen?
»Wofür ist das?«
Jack
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