Sumpfblüten
Schrotflinte als Mikrofon.
»Hallo, hier ist Gillian St. Croix mit dem Wetter! Ein Wintergewitter ist gestern Nacht durch die Rockys getobt und hat von Montana bis New Mexico reichlich Schnee abgeladen. Aus den Skigebieten in Vail wird ein Meter Pulverschnee gemeldet, und in Aspen und Telluride liegt er sogar noch höher. Inzwischen werden gaaaanz unten im sonnigen Süden Floridas Tageshöchsttemperaturen von Anfang zwanzig erwartete. Also ideale Bedingungen, um von einem superscharfen amerikanischen Ureinwohner auf einer verlassenen tropischen Insel als Geisel festgehalten zu werden. Wir reden hier von einem echt turbo-blauäugigen, ultraheißen Bettenwärmer …«
Hastig drückte Eugenie Fonda die Stopptaste.
»Wer war denn das?« ,wollte Fry wissen.
»Nur so ein ausgeflipptes Mädchen.« Eugenie spulte die Kassette zurück und drückte auf »Aufnahme«.
»Wo sind denn die Viecher?«, fragte sie und richtete die Kamera auf den Feigenbaum.
»Bisschen höher.« Fry drehte sich, um es ihr zu zeigen.
»Niedliche kleine Biester, nicht wahr?«
»Ja, Ma’am.« Dem Jungen tat der Nacken weh, also drehte er sich wieder in die andere Richtung.
»Und die haben sich auch richtig gern.« Genie spielte mit dem Zoom.
»Haben Sie Kinder?«, fragte Fry.
Einer der wenigen Fehler, die ich nicht gemacht habe, dachte sie. »Ich bin nie erwachsen genug geworden, um eine Mom zu sein. Das ist ’ne ganz schön ernste Sache.«
»Nö, das würden Sie glatt hinkriegen.«
»Ich überlege gerade – geben Echsen eigentlich Geräusche von sich?«
»Geckos ja. Chamäleons nicht«, antwortete er.
»Schade.« Genie fingerte an dem Knopf zum Scharfstellen herum.
»Was für’n Job haben Sie denn?«
Sie lachte trocken. »Ich verkaufe Leuten am Telefon eine unglaubliche Menge Mist. Aber einmal ist ein Buch von mir veröffentlicht worden.«
»Toll.«
»Die getürkte wahre Geschichte einer zum Scheitern verurteilten Romanze«, fuhr sie fort. »Aber lass dich nicht allzu sehr beeindrucken. Ich hab kein verdammtes Wort davon geschrieben.«
»Und wie heißt das Buch?«
»Nicht so wichtig«, wehrte Genie ab. »In der Schulbibliothek steht’s bestimmt nicht, versprochen. Sind Chamäleons nicht diese Viecher mit den Glubschaugen und den superlangen Zungen? Wie dieser Typ von Kiss?«
»Das sind die echten Chamäleons. Die Sorte hier in den Everglades heißt Rotkehlenanolis.«
Eugenie machte das Ganze großen Spaß; der Kleine war eine wahre Enzyklopädie. »Vielleicht kann ich dieses Video ja an National Geographic verkaufen, an den Sender. Du könntest mir bei dem Skript helfen.«
Fry legte den Kopf schief. »Ich glaube, Sie sollten bald Schluss machen.«
»Gleich, Sportsfreund.«
Er setzte sich auf. »Hören Sie das? Das ist ein Hubschrauber.«
»Wie kannst du das auf diese Entfernung erkennen?«
Der Junge hob einen Arm, um seine Augen gegen die Sonne zu schützen. »Er fliegt in unsere Richtung.«
Eugenie schaltete die Kamera aus. Honeys Sohn hatte Recht -das klang nach einem Helikopter, nicht nach einem Flugzeug. Ihr fiel wieder ein, dass der Mann namens Lester getönt hatte, er hätte heimlich Vorkehrungen getroffen, um die Insel zu verlassen; möglicherweise hatte sie ihn unterschätzt. Gillians junger Seminole hatte zwar versprochen, ihnen ein Boot und eine Karte zu besorgen, damit sie aufs Festland zurückkehren konnten, eine Reise auf dem Luftweg hatte für Genie jedoch erheblich größeren Reiz.
»Ich muss dich was Wichtiges fragen«, wandte sie sich an Fry. »Angenommen, ich finde eine Möglichkeit, hier abzuhauen -kommst du klar, bis dein Vater aufkreuzt?«
Dröhnend rauschte der Hubschrauber über die Baumkronen hinweg.
»Küstenwache. Er kreist.« Fry reckte den Hals, um besser sehen zu können. »Gehen Sie ruhig. Ich komm schon zurecht.«
Genie half dem Jungen auf die Beine. »Oder wie wär’s, wenn wir beide zusammen gehen? Die schicken bestimmt noch mal jemanden los, um nach deinen Eltern zu suchen.«
»Nein, Ma’am, gehen Sie nur.«
Eilig verstaute sie die Videoausrüstung. »Versprichst du mir, dass du hier auf deinen Dad wartest? Sei nicht so dämlich wie ein typischer Kerl und verlauf dich im Wald, okay?«
»Ich versprech’s.«
»Hey, ich weiß, dass du ein Supersportier bist. Ich hab die ganzen Trophäen bei deiner Mutter zu Hause gesehen.«
»Ich geh bestimmt nicht weg«, versicherte Fry. »Ich fühl mich beschissen.«
Genie schirmte die Augen gegen die Sonne ab und drehte sich auf dem
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