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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiaasen
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Obwohl in der Sendung normalerweise ein oder zwei Mitbewerber dabei waren, die ebenso oberflächlich und unathletisch waren wie Shreave selbst, gehörte er niemals zu ihren Fürsprechern. Es waren die sonnenverbrannten jungen Dinger in ihren abgeschnittenen Jeans und den schlecht sitzenden knappen Tops, deretwegen er sich die Sendung mit Hingabe zu Gemüte führte.
    Auf dem Baum wedelte Shreave mit den Armen und schrie um Hilfe. Die Mannschaft des Helikopters warf keinen einzigen Blick in seine Richtung, und Shreave wurde klar, dass er höher klettern musste. Doch die Vorstellung, eine sichtbarere Position über dem Baumkronendach zu erklimmen, machte ihm Angst – das windige Wetter, die schlüpfrige Glätte der Äste und seine eigene Unbeweglichkeit sprachen dafür, sich in Acht zu nehmen.
    Aus der Tasche seiner Windjacke zog er etwas, das er fälschlicherweise für ein tragbares Bootsfunkgerät hielt und das er, zusammen mit zwei Müsliriegeln, aus Honey Santanas Tasche geklaut hatte, nachdem sie von dem Wahnsinnigen mit der unförmigen Pfote fortgeschleppt worden war. Shreave begann, auf die Knöpfe an dem kleinen Gerät zu drücken und bellte: »Mayday! Mayday!«
    Er bekam keine Antwort von dem Piloten der Küstenwache oder irgendeinem anderen menschlichen Wesen, und das mit gutem Grund. Abgesehen von seinem Display hatte das Gerät in Shreaves Hand in allen wesentlichen Aspekten keinerlei Ähnlichkeit mit einem Funkgerät. Am entscheidendsten war das Fehlen sowohl eines Audioempfängers als auch eines Senders.
    »SOS! SOS!«, ließ er nicht locker. »Hilfe!«
    Tatsächlich handelte es sich bei dem Gerät um ein tragbares GPS-Gerät, für Shreave technologisch ebenso unergründlich wie der Taser, den er unter Honeys Bett gefunden hatte. Ein GPS-Gerät wird normalerweise von Seglern, Campern und Jägern verwendet und ermöglicht es dem Benutzer, seine Positionen überall auf dem Planeten präzise zu bestimmen und sie zurückverfolgen zu können. Satelliten speichern Landmarken anhand des Längen- und Breitengrades in das Gerät, das diese Information in einem so elementaren Kartenformat wiedergibt, dass selbst ein sabbernder Vollidiot sie enträtseln kann.
    Nicht jedoch Boyd Shreave. Das einzige Resultat seines wilden Knöpfedrückens war, dass er das Satellitensignal aktivierte und seine Position identifizierte: ungefähr 81° 33’ westlich des Nullmeridians und 25 0 53’ nördlich des Äquators. Doch die blinkenden Zahlen waren für Shreave unverständliches Kauderwelsch.
    »Mayday! SOS! Polizei!«, schrie er das stumme GPS an, während er zusah, wie der weiß und orangerot gestrichene Hubschrauber sich über dem Fluss positionierte. Von seinem belaubten Aussichtspunkt aus konnte Shreave nicht sehen, was die Männer von der Küstenwache entdeckt hatten, daher war es ihm nicht möglich, ihre Ritterlichkeit und ihr Geschick zu bewundern. Eine Routinesuche nach einem kranken Fotografen mittleren Alters war durch das unerwartete Auftauchen von nicht nur einer, sondern zwei außerordentlich attraktiven Frauen um einiges komplizierter geworden.
    Die erste Frau war fast nackt kopfüber in das kalte Wasser gesprungen, um dem ungeratenen Fotografen Beistand zu leisten, während dieser sich an ein kleines, gekentertes Boot klammerte. Minuten später war die zweite Frau in einem gelben Kajak aus den Mangroven gepaddelt gekommen und hatte dem Hubschrauber mit etwas zugewinkt, das wie ein leuchtend buntes Wäschestück aussah. Rasch trafen die Mannschaftsmitglieder Maßnahmen, um die Rettungsaktion zu erweitern, und gingen mit unbeirrbarer Konzentration und einem Korpsgeist ans Werk, der jegliche Chance zunichtemachte, dass einer von ihnen eine bleiche Gestalt hätte bemerken können, auf halber Höhe in einem weit entfernten Baum und von dichtem Blattwerk verborgen.
    Bitterkeit überkam Boyd Shreave, als sich dreimal ein leerer Korb an einem Drahtseil aus dem Bauch des Helikopters herabsenkte und sich dreimal mit einer in eine Decke gehüllten menschlichen Gestalt darin wieder hob. Shreave war zu weit entfernt, um zu sehen, wer da gerettet wurde; er wusste nur, dass er es nicht war. Wieder mal angeschissen, dachte er, als der Hubschrauber davonschwirrte.
    Seidige Stille senkte sich kurz über die Insel, doch bald begannen die Seevögel wieder zu rufen, und die Bäume begannen sich zu regen. Von seinem einsamen Horst aus sah Shreave, wie ein Schmetterling mit Zebrastreifen auf einer nahen Blüte des Flammenbaums landete.

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