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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiaasen
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Aufmerksamkeit auf sich – abblätternde Balken, verkohlte Träger. Fensterrahmen –, einer Hütte, die irgendjemand einst sein Zuhause genannt hatte. Am Hang des Austernhügels war ein vierschrötiges, bunkerartiges Gebäude aus unverputzten Hohlziegeln errichtet worden, vielleicht eine Zisterne.
    Über ihnen bemerkte Honey emporstiebende Möwen und Pelikane und fragte sich, was sie wohl aufgescheucht haben mochte. Wahrscheinlich wollen sie bloß fischen, dachte sie. Es war ein schöner Tag.
    »Warum haben Sie das gemacht?«, knarrte Shreave. »Die Tickets und all das, mein Gott, Sie müssen total verrückt sein.«
    »Sie ist nicht verrückt«, widersprach Eugenie. »Nicht wahr, Honey?«
    Honey öffnete ein Päckchen Trockenfeigen. Ein uralter Flammenbaum ragte über dem Lagerplatz auf, und sie erwog hinaufzuklettern, um sich besser orientieren zu können. Sie hatte das Gefühl, sehr weit von ihrem Sohn entfernt zu sein.
    Ein Schuss ertönte, gefolgt von einem zweiten.
    Eugenie fuhr zusammen. Shreave riss die Augen weit auf und rief: »Es ist doch eine Falle!«
    »Schsch. Das sind nur Wilderer«, beschwichtigte Honey und dachte: Die haben bestimmt auch das Feuer gemacht.
    Shreave drehte durch, das Gewehrfeuer hatte seinen Nerven den Rest gegeben. Er hechtete nach Honeys Knien, riss sie zu Boden und drückte einen feuchten Unterarm gegen ihre Kehle.
    »Bringen Sie uns hier weg!«, krächzte er.
    Mit einigen Schwierigkeiten zerrte Eugenie ihn zurück. Während Honey sich Austernschalensplitter aus dem Haar zupfte, dachte sie daran, wie Perry Skinner sie einmal am Strand von Cape Sable geliebt hatte und sie beide von oben bis unten voller Sand und Dreck gewesen waren. Es war mitten in einem heftigen Frühlingsgewitter, und sie waren allein gewesen bis auf einen Rotluchs, der von einem Palmenhain aus zugesehen hatte. Honey wollte glauben, dass sie an jenem Nachmittag mit Fry schwanger geworden war.
    »Wer hat da geschossen?«, verlangte Shreave zu wissen.
    »Ich habe keine Ahnung. Das ist die Wahrheit«, antwortete Honey.
    Einige Minuten lang lauschten sie schweigend. Es fielen keine Schüsse mehr, und Shreave beruhigte sich.
    Als Honey anfing, die Zelte auszupacken, meinte Eugenie: »Oh-oh.«
    Shreave lachte gackernd. »Auf gar keinen Fall verbringen wir die Nacht hier draußen. Ich rufe Hilfe.«
    »Wie denn?«, fragte Eugenie. Sie hatten ihre Handys in dem gemieteten Explorer gelassen, aus Angst, sie könnten beim Paddeln über Bord fallen. »Wir sind Camper, Boyd.«
    »Von wegen.«
    Es dauerte eine halbe Stunde, die Zelte aufzubauen. Als Honey fertig war, wandte sie sich an die beiden Texaner. »Ich habe einen Sohn, den Jungen, den Sie auf den Fotos in der Lodge gesehen haben. Ich habe versucht, ihm beizubringen, ein anständiger, positiver Mensch zu sein – heutzutage sind alle so zynisch, wissen Sie, es bricht einem das Herz. Wir schauen jeden Abend zusammen Nachrichten, weil es für junge Leute wichtig ist, sich darüber im Klaren zu sein, was in der Welt passiert, aber manchmal könnte ich einen Ziegelstein in den Fernseher pfeffern, ich schwör’s. Geht’s Ihnen nie so?«
    »Boyd bestimmt nicht«, meinte Eugenie. »Der steht auf Fernsehen.«
    »Außer auf die Nachrichten«, warf er ein. »Ich schau mir nie die Scheißnachrichten an, nicht mal auf Fox. Übrigens hauen wir jetzt ab, also packen Sie Ihre niedlichen kleinen Zelte mal schön wieder zusammen und laden Sie sie in die Kajaks …«
    »Lass sie ausreden, Boyd«, wies Eugenie ihn an. »Offensichtlich hat sie sich eine Menge Mühe gemacht.«
    Honey bedankte sich bei ihr und fuhr fort. »Ich sage meinem Sohn immer: ›Auf der Welt wimmelt es von miesen Typen und Raffzähnen. Untersteh dich, einer von denen zu werden, wenn du groß bist.‹ Und was ich damit meine, ist Folgendes: Sei ein verantwortungsbewusster, umsichtiger Mensch. Ist das denn so schwer? Großzügig zu sein und nicht habgierig? Mitfühlend, nicht gleichgültig? Mein Gott, gibt es eine schlimmere Sünde als Gleichgültigkeit?«
    Shreave hob die Wasserflasche auf und trank unter lautem Glucksen. Er wischte sich den Mund mit dem Ärmel und knurrte: »Würden Sie bitte zum Punkt kommen, falls es so was gibt?«
    »Den gibt es. Den gibt es wirklich.« Honey hielt kurz inne, um die Melodien in ihrem Kopf auseinanderzusortieren. Eine war »Yellow Submarine«, das hatte sie Fry oft vorgesungen, als er noch klein gewesen war. Sogar Perry Skinner, der Merle Haggard oder Waylon Jennings vorzog,

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