Sumpffieber (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
die müssen doch Namen gehabt haben«, sagte ich.
»Keine echten.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Der, der die Fotos verbrannt hat … also der andere Typ hat ihn Harpo genannt. Ich sage: ›Wie der Kerl in dem alten Fernsehfilm, der Idiot, der immer die Glocken läuten läßt!‹ Da sagt der Kerl namens Harpo: ›Ganz recht. Und jetzt laß ich meine Glocken läuten.‹«
Ruby versuchte die Plastikteile des Modells wieder zusammenzufügen. Dabei saugte sie in höchster Konzentration ihre rechte Backe ein. Ihr Bluterguß verdichtete sich dabei zu einem blauen Klumpen. »Verdammt, ich krieg das nicht wieder zusammen. Warum hab ichʼs bloß nicht in den Schrank gestellt? Er kommt mit meiner Tante zu Besuch«, sagte sie. Sie drückte mit Gewalt auf ein Plastikteil, rutschte aus und hatte eine Schramme auf dem Handrücken.
»Wie alt war dieser Typ namens Harpo?« fragte ich.
»Ungefähr sechzig … so in dem Alter, wo sie anfangen, sich wie dein Vater und Robert Redford gleichzeitig aufzuspielen. Sein ganzer Rücken war behaart … Ich muß mal ins Badezimmer. Und das kann dauern. Wenn ihr bleiben wollt, könnt ihr vielleicht versuchen, das wieder hinzukriegen. Den Tag heute kann ich sowieso vergessen.«
»Wo hast duʼs gekauft?« fragte ich.
»Bei K&B. Vielleicht auch bei der Jackson-Brauerei … ihr kennt doch das Einkaufszentrum, das früher die Jax-Brauerei war … Nein, ich bin sicher, es war nicht in der Brauerei.« Sie biß sich einen Niednagel ab.
Clete und ich fuhren zu K&B in der St. Charles Street. Es regnete, und der Wind peitschte die Nässe wie Sprühfontänen aus den Bäumen, die sich wie ein Baldachin über die Straßenbahnschienen wölbten. Die grün-rote Neonreklame am Kaufhaus leuchtete wie eine Zuckerstange durch den Dunst.
»Harpo hieß der Cop, der Cool Breeze Broussard die Frau ausgespannt hat«, sagte ich.
»Das liegt zwanzig Jahre zurück. Kann kaum derselbe gewesen sein, oder?«
»Nein, ist unwahrscheinlich.«
»Ich finde, diese Typen haben sich gegenseitig verdient, Streak.«
»Warum kaufen wir dann ein Spielzeug für Rubys Sohn?«
»Ich orientiere mich selten an meinen eigenen Ratschlägen. Genausowenig wie an denen anderer, mein Bester.«
Am Mittwoch lenkte ich den Streifenwagen die alte Straße am Bayou entlang nach Jeanerette und zu Lila Terrebonnes Heimstätte. Als die riesige Rasenfläche mit der Eichenallee in Sichtweite kam, sah ich das Filmteam bei der Arbeit – in der Kulisse der Arbeiterunterkünfte einer Genossenschaftsfarm – und fuhr weiter in Richtung Süden nach Franklin und zu der Stelle, wo mein Vater und ich den Gekreuzigten entdeckt hatten.
Warum?
Vielleicht weil die Vergangenheit nie wirklich vergangen und abgehakt ist, zumindest nicht solange man ihre Existenz leugnet. Vielleicht weil ich wußte, daß sich auf unerfindliche Weise der Tod von Megan Flynns Vater durch die Hintertür wieder in unser Leben schleichen würde.
Die Scheune war noch immer da, zweihundert Meter vom Teche entfernt, gesäumt von Bananenstauden und schwarzen Johannisbeersträuchern. Im Dach klaffte ein riesiges Loch, die Wände waren windschief und stützten sich gegenseitig, die von Wind und Sonne verwitterte rote Farbe schälte sich in schmalen Streifen vom Holz.
Ich schlenderte durch die Johannisbeersträucher zur Nordseite der Scheune. Die Nagellöcher hatten der Staub aus den Zuckerrohrfeldern und die Ausdehnung des Holzes längst geschlossen, aber ich konnte mit den Fingerspitzen noch immer die erhabenen Ränder spüren, und vor meinem geistigen Auge sah ich die Umrisse des Mannes wieder vor mir, dessen schmerzverzerrtes Gesicht, zerschundener Körper und blutverkrustete Augenbrauen meinen Vater und mich an jenem heißen Morgen des Jahres 1956 erwartet hatten.
Kein Grashalm wuchs im Umkreis der Stelle, wo Jack Flynn gestorben war. (Aber da kommt kein Sonnenstrahl hin, sagte ich mir, nur grüne Schmeißfliegen, die im Schatten brummten, und die Erde war hart und verkrustet und vermutlich von Herbiziden vergiftet, die hier verschüttet worden waren.) Wilde Raintrees, strotzend vor blutroten Blütendolden, standen auf dem Feld, und die Johannisbeeren an den Sträuchern waren prall und klebrig vom eigenen Saft, wenn ich sie berührte. Ich wunderte mich über den Grad der Naivität, die uns verleitete, an Golgatha als einen Vorfall zu glauben, der allein in der Historie seinen Platz hatte. Ich wischte mir mit einem Taschentuch den Schweiß vom Gesicht, knöpfte mein Hemd auf
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