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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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auf dem Wege näherschritt ... der neben mir stehenblieb. Ein Mann mit sanftem, traurigem Blick, weichem Bart und langem Haar. Sein Gewand war weiß, etwas Ähnliches wie eine Tunika oder eine sehr lange Bluse. Auf dem Rücken trug er ein riesiges, scheinbar sehr schweres Gerät, über das ich mir nicht klar wurde – vielleicht ... Tonet, wer weiß es! vielleicht das Werkzeug zu einem neuen Tode, der die Menschheit nochmals erlösen soll ... Er beugte sich über mich, und das ganze Licht der Dämmerung vereinigte sich in seinen Augen. Seine Hand, deren eisige Kälte mich von den Haarwurzeln bis zu den Hacken erschauern ließ, strich über meine Stirn. Mit sanfter Stimme murmelte er einige fremde, wohllautende Worte, die ich nicht verstehen konnte, und ging dann lächelnd weiter, während ich infolge der unbeschreiblichen Erschütterung in tiefen Schlaf fiel, aus dem ich erst Stunden später in dunkler Nacht erwachte.
    Ich habe ihn niemals wiedergesehen; aber ER war es – ganz sicher, Tonet. Er ist in die Welt zurückgekehrt; um sein durch die Menschen gefährdetes Werk zu retten, geht er von neuem auf die Suche nach den Armen, den Einfachen, den elenden Fischern an den Seen. Ich aber, ich gehöre zu seinen Auserwählten, sonst hätte mich seine Hand nicht berührt.«
    Und mit der ganzen heißen Inbrunst, die ihm sein Glaube verlieh, rief der Vagabund: »Daher, Tonet, bin ich fest entschlossen, dich zu verlassen, sobald die süße Erscheinung sich wieder zeigt.«
    Tonet, schlecht gelaunt, weil sein Schlaf gestört worden war, knurrte ihn grob an:
    »Willst du endlich den Mund halten? ... Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß die ganze Geschichte weiter nichts ist als das Hirngespinst eines Betrunkenen! Wärst du nüchtern gewesen, wie es sich gehört, wenn man dich auf Besorgungen ausschickt, so hättest du gesehen, daß dieser geheimnisvolle Mann der italienische Scherenschleifer war, der zwei Tage in Palmar die Messer und Scheren in Ordnung brachte und der sein Schleifrad unterwegs auf dem Rücken trug.«
    Sangonera verstummte, nicht weil sein Glaube erschüttert war, sondern weil er die harte Faust seines Beschützers fürchtete. In der Stille aber revoltierte er gegen Tonets vulgäre Erklärungen. Oh, man würde schon noch sehen! ... So verging für sie der Winter: Sangonera, gewiegt von überspannten Hoffnungen; Tonet mit seinen Gedanken bei Neleta, die er nie zu Gesicht bekam, denn gelegentlich seiner Besuche in Palmar wagte er nicht, sich Cañamels Haus zu nähern.
    Dieses Fernsein, das sich Monate verlängerte, ließ in seiner Erinnerung das vergangene Glück zu trügerischer Größe anwachsen. Neletas Bild füllte seine Augen. In dem Kreis von Wasser und Schlamm, in dem sich sein Leben abspielte, konnte er sich nicht bewegen, ohne auf etwas zu stoßen, das ihn an sie gemahnte. Er sah sie im Walde, wo sie sich als Kinder verirrten – er sah sie auf dem See, wo sie sich in der süßen Stille der Nacht einander gaben. Gepeinigt von der Enthaltsamkeit, die sein gesundes Leben in freier Luft noch fühlbarer machte, hatte er unruhige Träume, und Sangonera hörte ihn nachts, fauchend wie ein brünstiges Tier, nach Neleta rufen.
    Und eines Tages fühlte Tonet, dem diese Leidenschaft den Verstand raubte, daß er sie um jeden Preis sehen müsse. Cañamel, dessen Kränklichkeit zunahm, war zur Stadt gefahren, und in der Mittagsstunde, während der die Stammgäste sich in ihren Häusern aufhielten, betrat der Kubaner resolut die Taverne.
    Als die Wirtin ihn auf der Schwelle bemerkte, stieß sie einen leisen Schrei aus, wie beim Anblick eines vom Tode Auferstandenen. Ihre Augen leuchteten freudig auf, um sich aber gleich darauf zu verdüstern – die Vernunft behielt den Sieg. Neleta senkte den Kopf mit harter, unzugänglicher Miene. »Geh, geh! ...« murmelte sie. »Willst du mich zugrunde richten?«
    Sie zugrunde richten, er! ... Diese Annahme bekümmerte ihn derartig, daß er keine Widerrede wagte. Instinktiv wich er zurück, und so rasch er auch seine Schwäche bereute – schon befand er sich auf der Plaza, fern der Taverne.Er unternahm keinen neuen Versuch. Wenn seine unterdrückte Leidenschaft ihn zu ihr treiben wollte, wirkte die Erinnerung an die schroffe Art ihrer Zurückweisung sofort erkältend. Es war endgültig alles aus. Cañamel, über den er sich früher lustig gemacht hatte, war zu einem unüberwindlichen Hindernis geworden.
    Der Haß gegen Neletas Mann brachte ihn dazu, seinen Großvater zu

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