Suna
und bald wieder auflegen. Wir machen kleine Schritte, Magdalena und ich. Wir suchen nach Worten und nach schmalen Durchlässen. Nicht immer gelingt das. Das Sprechen über die andere Mutter, über Julka, über die leibliche Mutter, ist in der Zwischenzeit zur Insel geworden, auf der wir einander begegnen können, ohne an die eigenen Sehnsüchte, die wir aneinander gerichtet haben, rühren zu müssen.
Magdalena hat sich in ihrem Leben nichts sehnlicher gewünscht als ein Kind. Vielleicht weil sie selbst schmerzlich erfahren hat, dass ein Kind immer liebt.
Ein Kind, wie sie eins gewesen ist, ein Mädchen mit langen, ungewöhnlich weißblonden Zöpfen, ohne Puppe im Arm, den Blick auf die Straße gerichtet, wo die Nachbarskinder mit einem Ball aus Stoffstreifen spielten.
Vom Hof weg, hinter das Haus, führte ein kleiner Pfad zum Hühnergehege, rechts davon war ein Geviert mit kleinen Pflöcken abgesteckt, dort sammelte man den Hühnermist. Links führte die Treppe in den Keller, der nur von außen zugänglich war. Dort saßen ihre beiden Brüder, vierzehn und fünfzehn Jahre alt. Dass ihnen der Gestank vom Misthaufen nichts ausmacht , dachte Magdalena. Sie hatten ihre Messer dabei und schnitzten jeder an einem kleinen Holzboot, besonders Konstantin, der Jüngere, war sehr geschickt darin.
Gerade ließ er sein dünnes Lachen hören. Fröhlich sind sie und ungewöhnlich ruhig miteinander . Lag es vielleicht daran, dass Frieder den Jüngeren gestern erst vor dem Zorn der Mutter bewahrt hatte, indem er ihr, stumm wie immer, bedeutet hatte, er hätte mit ihm gemeinsam für die Schule gelernt, obwohl Konstantin in Wahrheit mal wieder unter dem Zaun durchgekrochen war und sich auf der Galopprennbahn bei den Pferdeställen herumgetrieben hatte?
Lachend entfernten sich jetzt die Kinder auf der Straße, vielleicht rüber zum Stahlwerk, den Männern dabei zusehen, wie sie die großen Trichter auf dem Firmengelände zuschütten mit den Trümmern derjenigen Häuser, die den Bombennächten der Kriegstage nicht standgehalten hatten. Die Kinder durchstreiften sie heimlich auf der Suche nach Schätzen. Das war verboten, aber sie ließen es nicht, weil der Frieden ihnen zwar Essen, aber keine neuen Spielsachen gebracht hat.
Magdalena sah ihnen nach, wagte jedoch nicht, den Hof zu verlassen. Die Mutter könnte rufen.
Es war heiß, und alsbald machte Frieder dem Bruder Zeichen, dass er zurück ins Haus gehen werde, etwas lesen. Er sah kurz zu Magdalena, lächelte, dann ging er hinein.
Konstantin war seinem Blick gefolgt. Auch er stand jetzt auf, strich sich über das kurzgeschorene Haar, schien nach zudenken. Ein bösartiges Glitzern trat in seine Augen. Langsam ging er auf Magdalena zu.
Er hat es nicht vergessen , dachte das Mädchen da, dabei ist es schon mindestens eine Woche her.
Er kam näher, immer näher. Sie wich zurück, weg vom Hoftor. Er packte sie am Arm. Zog sie mit sich, hinüber zur Kellertreppe. Sie wehrte sich. Er hielt sie fester.
»Du weißt, wofür das ist!«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen und stieß die kleine Schwester in den Hühnermist.
Magdalena lag wie erstarrt.
Sie betrachtete ihr schmutziges Kleid. Sind da Tränen?
Magdalena hob den Kopf. Wie sollte sie reingehen mit dem verdreckten Kleid? Sie besaß nur dieses eine. »Teuer war der Stoff«, sagte die Mutter immer, die schimpfen würde und keine Erklärungen ertrug. Seit dem frühen Morgen lag sie mit Magenschmerzen auf dem Sofa. Vielleicht kann sie zum Mittag hin aufstehen . Wenn nicht, würde Magdalena kochen müssen, wie beinahe jeden Tag, das konnte sie, sie war ja schon neun.
Konstantin lachte jetzt. »Sieh zu, wie du da wieder rauskommst«, sagte er und verschwand im Haus.
Magdalena hielt die Tränen nur mit Mühe zurück.
Zur Nachbarin, zu Märthe.
Märthe würde ihr helfen.
Rasch den schmalen Weg an den Kartoffelbeeten entlang, am Hühnerstall vorbei, hinüber zur Mauer. Ein winziger Durchlass zwischen den Steinen, ein Blick zurück, niemand hat sie gesehen. Vielleicht ist Mutter eingeschlafen?
»Konstantin?«, fragte Märthe und ging vor ihr in die Hocke, um das Malheur besser betrachten zu können.
Magdalena schüttelte schnell den Kopf. Wofür das ist! Sie hat den Bruder an die Mutter verraten, aber das war doch wirklich rechtens gewesen.
Märthe strich ihr über das blonde Haar, zupfte am verschmierten Kleid.
»Komm rein«, sagte sie dann, »ich wasch es dir.«
Märthe schürte im Küchenofen ein Feuer, Holz und
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