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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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Zähnen, ich sah verschmähte Brotrinde, weil sie zu hart war (das hätte ich mir mal er lauben sollen! Essen übrig lassen!), und staunte, dass Groß ­ mutter Giese Brötchenhälften in Milch tunken durfte und ich nicht.
    Von jenem halben Magen also wurde der Laut verschluckt. Das Gebiss in meiner ausgestreckten Hand klapperte leise, so schaurig war das Geräusch und die Vorstellung, Nacht für Nacht davon geweckt zu werden.
    Giese konnte ihm nicht sagen, was sie den Krieg über darangesetzt hat, die Kinder wenigstens am Leben zu halten. Und zu welchem Preis.
    »Du musst raus aus der Stadt, weg vom Fluss und von den Gleisen, die bombardieren sie jetzt flächendeckend«, hatte Wilhelm gesagt, der heimlich BBC hörte und wusste, was auf sie zukam.
    Märthe saß dabei und hatte genickt, und so hatten die beiden ihr versprochen, auf das Haus zu achten, damit es nicht geplündert wurde oder beschlagnahmt, man wusste ja nicht, wie der Krieg enden würde.
    »Geh zu Roswitha«, hatte Märthe geraten, »woanders ist es nicht sicher genug.«
    »Ausgerechnet?«, hatte Giese gefragt.
    »Ausgerechnet. Die sind ihr Fleisch und Blut«, hatte Märthe geantwortet und auf die Kinder gezeigt.
    Also hatte Giese ihre Koffer gepackt und die Kinder mitgenommen auf die gefährliche Reise ins Bergische Land. Irgendwohin in die Walachei, wie Giese später sagte, wenn sie davon sprach.
    Man hielt eine Beratung ab, als sie ankamen. Die Schwägerinnen und die Frauen der Schwäger. Männer gab es nur noch einen, den alten Knecht. Giese und die Kinder warteten im Hof, draußen neben dem Schweinestall. Dann kam er gebeugt heraus.
    »Es gibt genug Mäuler, die gestopft werden müssen«, sagte er barsch. »Die feine Dame aus der Stadt kann man nicht auch noch gebrauchen.«
    Sie solle sich davonscheren.
    »Nur die Kinder«, hatte Giese gebeten, »nehmt wenigstens die Kinder.«
    Nicht einmal dazu waren sie bereit. Das Hoftor wurde vor ihr verschlossen. Giese wies sie an, müde und hungrig, wie sie waren, den Weg zurückzugehen, zurück zum Bahnhof, zurück in die Stadt. Es wurde dunkel.
    »Giese«, rief eine Stimme hinter ihnen, »Giese, warte.«
    Es war Roswitha.
    »Was?«, fragte Giese böse, ohne stehen zu bleiben. »Habt ihr nicht genug Unheil angerichtet? Als ob die Kinder etwas dafür könnten.«
    »Sei nicht so hart«, sagte Roswitha, die deutlich dünner aussah und nichts Mondänes mehr an sich hatte. Ihre Haare waren genauso wenig frisiert wie Gieses, und unter den Armen stank sie genauso wie jede andere Frau, die sich keine Seife mehr leisten konnte.
    »Verschwinde«, sagte Giese müde, »Diebe und Betrüger seid ihr. Scheinheilige. Und Teufelsbrut.«
    Sie drehte sich zur Seite und spuckte aus vor Roswitha. Die bekreuzigte sich, machte einen Schritt beiseite und holte erstaunlich rasch wieder auf.
    »Es sind zu viele«, sagte Roswitha schließlich. »Ihr seid vier Personen, so viel Essen haben wir nicht mehr.«
    »Verkauft doch das Auto von Arndt«, zischte Giese.
    »Das haben sie beschlagnahmt«, sagte Roswitha, ohne Giese anzusehen. Die lachte trocken.
    »Das hat sich ja gelohnt für den Mistkerl«, sagte sie, mehr zu sich.
    Kopfschüttelnd ging sie weiter, aber langsamer als zuvor. Dann stellte sie den Koffer ab. Roswitha sah ihr jetzt direkt in die Augen.
    »Zwei, allerhöchstens zwei.«
    Die Kinder standen am Straßengraben, dicht aneinandergedrängt, und nur die Älteren konnten ahnen, dass ihre Mutter gerade über ihr Leben verhandelte.
    »Und wie, meinst du, soll ich auswählen?«
    Roswitha sah sie verzweifelt an.
    »Soll ich sagen, du kannst bei der Tante bleiben, aber du nicht? Du wirst dich satt fressen können an Saubohnen und Kohl, aber du wirst mit Sicherheit sterben in den Bomben, die da hinten fallen?«
    Sie zeigte in Richtung der Stadt, aus der sie geflohen waren.
    Magdalena begann zu weinen.
    »Soll ich sagen, die Jungens ja, das Mädchen nein?«
    »Kennst du denn niemand anderen?«, fragte Roswitha.
    »Nein«, sagte Giese. »Keinen, bei dem die Kinder sicher wären.«
    Roswitha sah sie flehentlich an.
    »Versteh uns doch. Wir haben nicht genug zu essen für die, die schon da sind, wie sollen wir für vier weitere sorgen?«
    »Ich komme zurück«, sagte Giese.
    Roswitha umarmte ungelenk die Kinder, verabschiedete sich rasch von Giese und sagte: »Aber mach schnell, bevor sie es sich anders überlegen.«
    Giese ging also nicht zurück in die Stadt, sondern meldete sich bei der nächsten Volkswohlfahrt, um für die Jungen

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