Suna
Besuch.
Für Giese war das Katholische der pure Hokuspokus geblieben. Misstrauisch hatte sie die sonntäglichen Kirchgänge beäugt, denen sich sogar Konstantin angeschlossen hatte, weil der örtliche Priester den Jungs Ministrantengeld bezahlte. Offen zu spotten hatte sie aber nicht gewagt. Und so wies sie jetzt auf das hohe Schulgeld hin und auf Magdalena, die sich wünschte, Lehrerin zu werden, schließ lich auf die große Entfernung zum Kloster. Aber Gustav sagte unerwarteterweise: »Wenn er es möchte, dann lassen wir ihn. Das Geld wird für das letzte Kind schon reichen.«
Aber das Geld reichte nicht.
Denn als Magdalenas letztes Schuljahr gerade zu Ende war, ging Gustav eines Mittwochs früh aus dem Haus, um Besorgungen zu machen. Er nahm das Rad mit, für die Einkäufe. Auf dem Wochenmarkt begegnete er Märthe.
»Ich fahr noch eben zur Schule«, sagte er zu ihr, »nach den Wänden sehen, hab ich gestern verputzt«, und Märthe dachte, der Gustav bewegt sich aber komisch heute.
Als er zurückkam und das Rad in den Keller tragen wollte, brach er zusammen. Er stürzte, das Rad rutschte die Treppe hinunter und schlug auf jeder Stufe mit der Glocke an. Kling, ring, kling, ring, so läutete es über den Hof.
Magdalena rannte, so schnell sie konnte, zu ihm.
Gustav ertastete mit den Fingern etwas Kühles, Weiches neben sich.
»Blut?«, fragte er ächzend.
Magdalena schüttelte den Kopf.
»Hack«, sagte sie.
»War teuer.«
Gustav weigerte sich, ins Krankenhaus zu gehen.
»Zu Hause sterben«, sagte er mit letzter Kraft.
Nach Gustavs Tod blieb Giese nicht genügend übrig, um auch noch die Tochter auf die höhere Schule zu schicken. Verwundert, aber auch erleichtert nahm sie zur Kenntnis, mit welchem Gleichmut Magdalena ihren Traum aufgab, eines Tages Lehrerin sein zu können.
»Es soll nicht sein, Mutter«, sagte sie mit fester Stimme.
Stattdessen wurde Magdalena Verkäuferin, und zwar im erstklassigen Bekleidungsgeschäft von Carl Jorgensen. Eine sehr erfolgreiche Verkäuferin.
Sofort sah sie, was ein Kunde suchte. Manchmal wusste sie noch vor ihm, was er brauchte. Mit einem einzigen Blick erfasste sie, welches Budget er hatte, und beriet ihn nur knapp an seinem Limit, meistens sogar darunter, was ihr eine ansehnliche Zahl an Stammkunden einbrachte, die gerne sagten »die Kleine von Gustav, also die hat ja ein Auge, noch das allerkleinste Detail sieht die«, oder »Ein Gedächtnis! Sagenhaft! Sie weiß noch ein Jahr später, welche Krawatte sie mir gegeben hat.«
Andere sagten »mit der Begabung hätte sie auch bei der Kriminalpolizei anfangen können«, und hier sieht man, wozu es nütze sein kann, wenn man einen Vater hat, den man allergenauestens beobachten muss, damit nur ja der Krieg, den er in sich trägt, nicht zum Ausbruch kommt.
Jorgensen war froh über seine kluge und stille Gehilfin. Nichts war ihr zu viel und ihre nur geringe Volksschulbildung merkte man ihr nicht an.
»Ich höre Radio«, sagte sie, als er sie einmal gefragt hatte, wie es käme, dass sie mit jedem Kunden ein Thema finden könnte, egal in welcher Branche er tätig sei.
»Ich informiere mich«, fügte sie noch hinzu und räumte rasch die Seidenkrawatten in ihre Schubladen.
Obwohl Magdalena jeden Tag mit Herren zu tun hatte, wollte sich kein näherer Kontakt ergeben. Schob man ihre Verschlossenheit gegenüber Komplimenten anfänglich auf ihre Jugend und erklärte sie sich dann mit der Trauer um den Vater, so nutzten sich diese Erklärungen nach einiger Zeit ab.
Auch Giese und ihr halber Magen taugten den Leuten nicht länger als Begründung für diese Zurückhaltung, schließlich hatte Giese inzwischen sogar zwei Weltkriege damit überlebt und ihre drei Kinder groß bekommen, sollte da einer sagen, das Mädchen würde zu Hause gebraucht. Schließlich einigte man sich darauf, dass für Gieses Tochter wohl keiner gut genug war.
Magdalena selbst empfand sich nicht als zu anspruchsvoll, es gab nur keinen, der in ihren Augen bestehen konnte. Die meisten scheiterten schon daran, die richtigen Hosen zur Jacke zu kombinieren, und wenn es nicht solcherart ins Auge stach, so fand sie ein Einstecktüchlein, das nicht ganz knitterfrei gebügelt war, oder Socken, die nicht zur Krawattennadel passten.
»Wenn er sich nicht einmal anständig kleiden kann, wie soll er dann eine Familie ernähren?«, fragte Magdalena ihre Mutter, die kopfschüttelnd in der Küche stand und Kartoffeln schälte und sich über ihre Tochter wunderte, die
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