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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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gewesen, wir beide. Woher hast du nur die Energie, meine Tochter?
    Hast du ein bisschen davon für mich übrig?
    Ich frage mich nämlich schon, wie ich die Reise schaffen soll. Übermüdet und womöglich halb krank wegen des Reisefiebers. Soll ich meiner türkischen Familie etwa hässlich wie die Nacht unter die Augen treten?
    Hässlich, grau und deutsch?
    Du lachst!
    Aber schau dir doch die Bilder von deinen Tanten und Cousinen mal an. Augenringe habe ich da keine gesehen. Ganz ehrlich. Meinst du nicht, man wird uns sehr genau unter die Lupe nehmen, wenn wir dort ankommen?
    Nach Ähnlichkeiten suchen?
    Wenn ich aussehe wie eine Vogelscheuche, wird mir jedenfalls keiner glauben, dass ich das bin auf den Fotos, die Cem im Sommer mitgebracht hat.
    Tanja war vorhin kurz hier, um mir beim Packen zu helfen. Sie fliegt nicht mit uns, sie kommt ein paar Tage später mit ihren Kindern nach. Sie ist die Ruhe selbst, obwohl sie mindestens so viel Grund hat nervös zu sein wie ich. Na gut, vielleicht nicht ganz so viel Grund. Jedenfalls macht sie sich nicht halb so viele Gedanken wie ich.
    »Du teilst dein ganzes Leben durch hundert«, sagt sie immer. »Bevor du überhaupt einen Schritt machst, schaust du dir jedes Teil von allen Seiten an, und dann wunderst du dich, dass du Magenschmerzen hast.«
    »Nein«, sage ich dann böse, »ich wundere mich darüber überhaupt nicht.«
    Vielleicht hast du die Energie von deiner zähen serbischen Großmutter gestohlen.
    Julka ist vor über dreißig Jahren von ihrer Reise ins Dorf meines Vaters nämlich nicht alleine zurückgekommen, und man kann nicht gerade sagen, dass das Leben für sie dadurch einfacher geworden wäre.
    Marina
    Der Schnee knirscht unter Julkas Schuhen, es ist ein langer Winter dieses Jahr.
    Heute will sie es ihm sagen.
    Sie wird zu Andrusch gehen, wo sie aushilft, solange sie Mutterschutz hat in der Fabrik. Das ist nicht erlaubt, aber sie kann nicht allein sein, den ganzen Tag.
    So wird sie heute Abend wieder hingehen, telefonieren kann sie dort außerdem, und Marina nimmt sie diesmal mit.
    Er soll seine zweite Tochter hören.
    Sie packt alles für die Kleine ein und geht zu Andruschs Kneipe hinüber. Die Kleine schläft. Winzig liegt sie in ihrem Körbchen, viel zu klein für ihr Alter. Heute erst wäre ihr Geburtstag, aber sie ist so viele Tage zu früh gekommen. Mit Augen so groß und Haaren so lang, dass man Locken hineindrehen kann.
    »Marina muss sie heißen, wegen dem Meer«, hat Julka nach der Geburt zu ihrer Zimmernachbarin gesagt, die dann dieses Lied gesungen hat, das gerade so oft im Radio kommt.
    »Genau«, hat Julka gelacht, »das passt zu ihr.«
    Vier Wochen zu früh war sie mindestens geboren, sie musste sogar ein paar Tage im Brutkasten sein.
    »Aber zäh ist sie, meine Tochter«, denkt Julka. »Meine Tochter und seine.«
    Müde ist sie, denn das Kind weint immer und immer.
    Andrusch ist noch nicht da.
    Sie macht die Neonbeleuchtung an (man denkt, es müsste jetzt hell werden, aber es wird nur milchig gelb, weil die Röhren so lange halten, dass man sie vom Nikotin reinigen müsste, aber wer reinigt schon Neonröhren und womit auch und wozu?). Sie riecht den kalten Zigarettenrauch, öffnet ein Fenster und stellt Marinas Körbchen auf einen der Tische. Sie geht mit einem Kännchen in der Hand hinaus auf den Hof zum Tank, um Öl zu holen, dann heizt sie den Ofen an, der gar nicht mehr genug Kraft hat, um den Gastraum richtig zu wärmen. Marina schläft.
    Julka sieht nach, ob Andrusch die Einkäufe gemacht hat. Aber pünktlich ist er und zuverlässig. Natürlich hat er eingekauft, genug für die ganze Woche.
    Bei Andrusch will man nicht essen, da will man trinken und Deutschland vergessen. Da will man sich nach Hause saufen, da vergisst man sogar, dass man Moslem war vor langer Zeit. Man vergisst, dass es Feindschaft gab (oder gibt?) zwischen Serben und Kroaten, man denkt nicht an Bosnien, nicht an Kosovo. Deutsche kommen nicht hierher, nur Ingrid, ab und zu.
    Andrusch hat Schnaps und Kartenspiele. Er hat einen Spielautomaten in der Ecke und immer Kleingeld zum Wechseln in der Kasse. Alkohol rührt er nicht an.
    »Wenn du Wirt bist und selber trinkst, das ist, als würdest du mit geladener Pistole in der Hand einschlafen. Irgendwann geht das Ding los und du bist tot«, sagt er oft.
    Alle lachen und keiner hat ihn je gefragt, wie er das meint, keiner hat ihn gefragt, ob es da wirklich mal einen gab, der sich im Schlaf erschossen hat, denn Andrusch sagt das

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