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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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Kreidestücken warf, wenn man nicht gelernt hatte, und einen »in die Baumschule« schicken wollte, wenn man sich nicht beugte oder zumindest das Verb?
    Dann denkt man unablässig an Elternwörter, die paarweise auftraten und niemals dieselben waren, dann denkt man, warum haben nicht einmal meine deutschen Eltern in ihrem deutschen Land für ihre deutsche Dinge dieselben deutschen Wörter? Wie sie sich streiten konnten über Tun ell oder Tu nnl. Kilometerlang jeden Urlaub konnten sie das. Oder Samstag und Sonnabend, Schwarztee oder Schwarzer Tee. Kartoffelpüree und Kartoffelbrei oder Jatz und Dschäss oder Strümpfe und Socken. Stundenlang auch Schnaken und Mücken. (Jeden Sommer neu.)
    Dann denkt man an Kartoffelsalat zu Weihnachten, den meine Mutter gern machte, natürlich »nicht so wie hier«, aber geholfen hat ’ s nicht, ob er nun mit Mayonnaise war oder ohne, und man denkt an ein Gebet.
    Und wieder war ’ s ein Wort (»mild«) gewesen, ein Gewürzwort.
    Ein Abrundungswort,
    ein Verfeinerungswort.
    Ein Versöhnungswort
    und ein Kompromisswort.
    Ein Schonwort.
    Und das Gebet hat gehandelt
    von aller Augen, und ja,
    die gab’s!
    Aller Augen! Mit Vor- und Zunamen. Montag bis Freitag durchgehend geöffnet.
    Vor dem Zimmer waren Stimmen, ich versuchte, sie auseinanderzuhalten, ein Mann, eine Frau, noch eine Frau, eine davon kannte ich, und dann kam der Mann rein und fragte nach Drogen. HimmelHerrGott, ich bin doch kein Junkie, was für Drogen? Er ließ sich meine Arme zeigen und sagte »sind aber dünn«.
    Dann gab er mir eine Spritze,
    und weg war er
    und weg war der Tag.
    Der nächste fing mit Watte an und einem Tier im Magen.
    »He!«, schrie ich, und Irma kam rein.
    »Spielst du auch mit in dem Stück?«, aber da schimmerten wasserblaue Augen weltmeerartig. I want to swim in your ears hat mir mal einer gesagt und meine Augen gemeint.
    Ich möchte gern nirgendwo schwimmen, wenn ’ s geht. Fester Boden, haben die hier festen Boden?
    Die Watte blieb, das Chaos im Kopf auch.
    Irma saß am Bett und sagte »Kind Kind Kind«, und IchbindeinVater, Kontorleiter vom Stamme der Buddenbrooks, schaute ebenfalls mit Bittermiene drein. Mein »Hast du mal eine Zigarette für mich«, wurde erlegt von einem kristallenen »Aber doch wohl nicht im Haus!«, in ansteigender Tonhöhe und crescendo dabei.
    Ich lachte. 0 : 1 gegen das Team Nikotin, müssen wir warten, bis wir erwachsen sind, Papa, was?
    Der Arzt war ungefähr sechzig und hieß Boris. Wenn ich mich richtig erinnere, wohnte er einfach eines Tages bei uns. Nicht meinetwegen, sondern wegen Thea. Er stammte von irgendwo aus Osteuropa, wie ich erfahren hatte, denn einmal telefonierte er, und ich hörte ihn in einer fremdvertrauten Sprache sprechen und bat ihn, es noch einmal zu tun, für mich.
    »Doch doch, erzähl mir irgendwas«, und ich fühlte mich, als wäre schon nach der Spritze, obwohl ich nur einmal eine bekommen hatte.
    »Du hast einen Virus erwischt. Nichts Schlimmes, wenn man nicht so dünn ist wie du. Du bist bloß erschöpft, ganz und gar.«
    »Ich kann nicht schlafen«, sagte ich, und Boris lachte und sagte: »Du bist ein Nachtgespenst, das ist ein türkisches Wort im Bulgarischen, es heißt karakoncolos , wusstest du das?«
    »Du bist Bulgare«, sagte ich.
    »Bin ich das?«
    »Hast du das nicht gerade gesagt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin viele«, sagte er.
    »Werde ich wieder – normal?«, fragte ich. »Auf die Dauer ist das anstrengend.«
    »Ist nur eine Erschöpfungsdepression«, sagte er.
    »Nein«, sagte ich. »Depression ist, wenn man heult! Ich heule nicht.«
    Boris lachte.
    »Du bist sehr deutsch in deinem Kopf«, sagte er und setzte damit wenigstens eine erste Orientierung.
    Das Gefühl, keine Beine zu haben, ließ ein wenig nach. In den Nächten schlich ich mich in den Garten und rauchte, und manchmal kam Johannes dazu. Unter dem Kirschbaum erzählte er mir von seiner neuerlichen Beziehung zu Claudia und seiner Sorge, wie Irma darauf reagieren würde. Ich riet ihm, getrost darauf zu scheißen. »Es ist dein Leben«, sagte ich, »wann willst du anfangen, es in die Hand zu nehmen?«
    Er protestierte und sagte, er hätte sein Leben in die eigene Hand genommen, er sei schließlich stellvertretender Institutsleiter geworden! Und Vater! Und mit Magdalena verheiratet gewesen!
    »Das ist dein Gegenbeispiel?«, fragte ich zurück und konnte mir den Spott nicht verkneifen.
    »Wie willst du das denn beurteilen?«, wehrte er sich.
    »Ich war

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