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daran brachte ihre Ruhe und Beherrschtheit zurück. Sie gestand sich ein, dass die Notlandung auf Less und die sich seither überstürzenden Ereignisse ihr sonst so starkes Nervenkostüm erheblich angekratzt hatten. Andernfalls hätte sie kaum den Wunsch verspürt, etwas Hochprozentiges zu trinken. Sie lehnte sich zurück und musterte das Wandgemälde zwischen den zwei Muschelleuchten, in dem Menschen mit Fremdwesen unterschiedlichen Körperbaus kopulierten. Kritisch schüttelte Shanija den Kopf. Für diese Art Kunst hatte sie nicht viel übrig, und Ästhetik konnte sie darin auch nicht erkennen.
Wieder glitten ihre Gedanken zurück in die Situation, in die sie sich mit dem Kuss manövriert hatte. An der
eindeutig und unzweifelhaft
Darren Schuld trug. Und nur er!
Prompt drängte sich sein kantiges Gesicht in ihr Bewusstsein. Die dunkelblonden, widerspenstigen Haare verliehen ihm zusammen mit den grauen Augen jenes verwegene Flair, das sie bereits bei der ersten Begegnung vor den Toren der Großen Flüstertüte vor ihm gewarnt hatte. Zu allem Überfluss unterstrich sein durchtrainierter, knapp zwei Meter großer Körper diese Ausstrahlung. Am liebsten wäre sie in seinen Armen …
»Na, Schönheit, so ganz allein?« Zigarettenrauch, gemischt mit Alkoholdunst, flutete ihre Nase.
Shanija blickte nicht einmal auf. »Verpiss dich!«
»Oh, eine Wildkatze! Ich liebe …«
Langsam hob sie den Kopf. Die acht orangefarbenen Vierecke, die am linken Brustbereich der schwarzen Lederjacke prangten, wiesen den Mann als fahrenden Händler für Rohstoffe aller Art aus. Sein schmieriges Lächeln kam ihr gerade recht.
»Verstehst du
diese
Sprache besser?«, fragte sie in einer Tonlage, die der Kälte des antarktischen Eises entsprach. Mit einer schnellen Armbewegung zückte sie Tyr und ließ es so groß werden, dass es bis an sein Kinn reichte. Er schluckte, sein Adamsapfel schrammte dabei knapp am blanken Stahl vorbei. »Noch Fragen?«
Wortlos stolperte der Händler zwei Schritte rückwärts, schüttelte den Kopf und machte sich davon. Sein Angstschweiß leistete ihr noch für einen Augenblick Gesellschaft, bevor er ebenfalls flüchtete.
Shanija verstaute das wieder zum Messer reduzierte Tyr im Innenteil ihrer dunkelblauen Lederjacke und hob das Schnapsglas an die Lippen. Der Geschmack der Flüssigkeit erinnerte sie an Zitronensaft, gemischt mit Zimt. Das Brennen im Rachen und in der Speiseröhre übertraf überraschenderweise den isländischen Kümmelschnaps, den sie vor Jahren notgedrungen nach einer militärischen Übung getrunken hatte. Ohne ihn hätte sie den Verzehr der Inselspezialität
Hákarl
– verrotteten Grönlandhaifisch – niemals überlebt.
Sie leerte das Glas und fällte die Entscheidung, sich von Darren Hag ab sofort fernzuhalten. Einer ähnlichen Mischung aus Verwegenheit und Schüchternheit war sie bereits einmal erlegen. Ein zweites Mal würde ihr dieser Fehler nicht mehr unterlaufen.
Nein, kein Fehler
, korrigierte sie sich. Das Schicksal hatte sie in nie zuvor gekannte Gefühlsregionen entführt, um sie anschließend umso erbarmungsloser fallen zu lassen. Und durch diesen Kuss war sie nahe daran, sich auf etwas Ähnliches einzulassen.
Sie straffte sich. Trübsalblasen löste nichts. Es galt, die Tatsachen zu akzeptieren: Pong transportierte in seinem kleinen Drachenkörper den Speicherkristall, der das Überleben der Menschheit sicherte. Dieser musste schnellstens dem Flottenkommando auf der Erde ausgehändigt werden. Dafür musste sie aus diesem verfluchten System entkommen, in dem Menschen und Aliens samt Tier- und Pflanzenwelt sich gegenseitig mit den verrücktesten Fähigkeiten nervten. Telekinese, Telepathie oder multiple Orgasmen waren nur einige der Kräfte, die überall auf dem Mond möglich waren. Zu allem Überfluss war sie selbst mit der – angeblich – mächtigsten Kraft beglückt worden: der Sonnenkraft. Diese Psimagie sollte zwar den Legenden nach möglich, aber noch nie in Erscheinung getreten sein. Bis jetzt. Und damit verbunden war natürlich eine düstere Prophezeiung, nach der die Sonnenkraftträgerin zum Zeitpunkt der besonderen Konstellation der
Passage
die Verbindung zwischen zwei Universen schaffen sollte. Oder so ähnlich; Shanija musste Mun diesbezüglich noch einmal genauer ausfragen. Keine sehr angenehme Aussicht, wenn diese phantastische Vision zutraf.
»Ich finde einen Weg aus dem System, so wahr ich eine der W ILD R AMS bin!«, sprach sie sich Mut zu.
Ready To
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