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stehen und betrachtete die Eisenstange, die am Boden durch ein Metallglied getrieben war. Offenbar zog ein Gewicht die Kette nach unten.
Die Knochenstäbe der Zelle!
Der Todseher packte die Kette mit beiden Händen und stieß mit dem Fuß mehrmals gegen die Eisenstange. Endlich, mit großer Kraftanstrengung schaffte er es, die Kette einen Fingerbreit nach oben zu ziehen, und die Stange bewegte sich. Beim sechsten Tritt schlitterte sie schließlich aus dem Glied. Sofort riss Jaffi eine gewaltige Kraft die Kette aus den Händen. Mehrere Mannslängen Kette verschwanden knatternd im Boden. Mit einem dumpfen Knall irgendwo unter Jaffis Füßen stoppte die Bewegung der Kette.
Zwei Atemzüge später erschien As’mala vor ihm.
»Gut gemacht, Jaffi«, sagte sie. »Los, weg hier!«
Gemeinsam traten sie auf den Gang. Jaffi registrierte erleichtert, dass As’mala sorgfältig darauf achtete, ihm nicht zu nahe zu kommen.
»Bleib hinter mir«, flüsterte As’mala.
Der Todseher hatte sich kurz ablenken lassen. Nun folgte er As’malas Blick. Die Tür in den Vorraum stand offen. Fantur, der Wächter, rannte auf sie zu. In seiner Hand blitzte die stählerne Klinge des Dolches.
In diesem Moment löste sich der Knoten in seinem Kopf. Jaffi begriff, dass er
jetzt
den Lauf der Dinge ändern konnte. Das Schicksal besiegen. Falls er die Kraft und den Willen dazu besaß.
Panik stieg in ihm auf.
Alles war genau gleich wie damals, als Grani starb. Die Zeit schien langsamer zu werden, hielt fast an. Fanturs Bild entfernte sich, während der Gang stetig enger wurde, bis die knöchernen Gitterstäbe der Zellen zusammen wuchsen und aussahen, als wären sie die weißen Gräten eines Fisches.
Obwohl sich ihnen der Wächter unendlich langsam näherte, fühlte Jaffi, wie sich Verzweiflung in ihm ausbreitete.
Er konnte sich um keine Haaresbreite bewegen! As’mala stand direkt vor ihm, wollte seinen verkrüppelten Körper vor dem anstürmenden Fantur schützen.
Der Todseher schrie vor Wut und Enttäuschung. Wie einst bei den schrecklichen Geschehnissen im Arbeitszimmer von Granis Vater kam nur ein tiefes Brummen aus seinem Mund. Wieder einmal wurde er sich der brutalen Hilflosigkeit bewusst, die ihn seit jenem Tage begleitete, als er seine Fähigkeit zum ersten Mal erlebt hatte. Von allen psimagischen Gaben, die er kannte, kam ihm seine als die Furchtbarste vor. Der Tod war unabwendbar, kam sich seine Opfer holen, als wären Zeitpunkt und Ort irgendwo niedergeschrieben.
Schicksal
.
Ihm hatte das Schicksal dabei die Rolle des Beobachters zugeteilt. Des
hilflosen
Beobachters.
In alptraumhafter Langsamkeit kam der Wächter näher, den Dolch auf Hüfthöhe, bereit zum Zustechen.
Die Geschichte würde sich so entrollen, wie es vorbestimmt war:
Fantur wird As’mala mit seiner Klinge zwar verletzen, doch sie wird den Dolch an sich reißen und ihn erstechen. Daraufhin wird sie wieder gefangen genommen, vor Torogard geführt und anschließend von ihm, Torogards treuem Diener Serjaff, mit einem Schwert enthauptet
.
Jaffi schloss das Auge.
Und riss es sogleich wieder auf. Wenn er zu
dieser
Bewegung fähig war, dann musste er sich auch sonst bewegen können! Sein Blick richtete sich auf die zu Fischgräten gekrümmten Gitterstäbe. Endlich begriff er.
Der Junge, der ins Meer geworfen worden war. Er musste es erdulden, drei Tage und Nächte im Bauch des Fisches aushalten
.
Ich muss es aushalten!
Fantur war heran. Seine Hand zuckte nach vorn.
Mit seiner ganzen Willenskraft stemmte sich Jaffi gegen das gesamte Universum, das sich gegen ihn verschworen hatte, als er noch im Bauch der Mutter gesteckt hatte.
Es gibt kein Schicksal!
Jaffi warf sich vorwärts. Er prallte gegen As’mala, die eine Hüftbreite zur Seite gedrückt wurde. Die für die Frau bestimmte Klinge schoss auf ihn zu. Jaffi erkannte den speziellen Glanz der Klinge, in der die Todesschreie der Kreischer für immer in Form von Schwingungen im Stahl konserviert waren.
Der Todseher fühlte keinen Schmerz, als der Dolch in seine Kehle eindrang und hindurch glitt, so leicht, wie der Bug eines Schiffes die See zerteilte. Ein gleißend heller Blitz blendete ihn, als ob sich eine Todesvision ankündigen würde.
Meine eigene?
, fragte sich Jaffi, ohne diesen Gedanken zu bedauern.
Schlagartig lief die Zeit wieder in ihrer gewohnten Geschwindigkeit. Jaffi brach zusammen und blieb auf dem Rücken liegen. Er sah, wie der geschmeidige Schatten der Frau herumwirbelte, dem Wächter den
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