Super-Brain - angewandte Neurowissenschaften gegen Alzheimer, Depression, Übergewicht und Angst
wie vor weit verbreitet. Auf derartige Deutungen fällt mittlerweile allerdings der Schatten eines Zweifels. (Wer unter Depression leidet, das wissen wir inzwischen aus der Grundlagenforschung, unterscheidet sich hinsichtlich der Genaktivität nicht von anderen Patienten. Ebenso wenig ist geklärt, ob die Wirkung von Antidepressiva darauf beruht, dass sie ein chemisches Ungleichgewicht korrigieren. Erhalten unter Depression leidende Patienten aber die richtige Psychotherapie, bei der sie ihre Gefühle zur Sprache bringen können, verändert sich ihr Gehirn in ähnlicher Weise wie unter dem Einfluss der entsprechenden Medikamente. Hier kommt also noch ein weiteres Rätsel hinzu: Wie können Gespräche und die Einnahme einer Pille auf der physiologischen Ebene zum gleichen Resultat führen? Das weiß niemand.)
Wenn Sie einem jungen Menschen mit schlechten Tischmanieren begegneten, worauf würden Sie diese zurückführen? Höchstwahrscheinlich würden Sie annehmen, dieses Verhalten habe seinen Ursprung in der Kindheit und sei ihm dann zur Gewohnheit geworden. Wenn die Gewohnheit immer weiter fortbestanden hat, dann deshalb, weil die betreffende Person keinen triftigen Grund sah, sie zu ändern. Und was wäre, wenn die Depression dasselbe Entstehungsprofil hätte? Dann könnten wir ihre Entstehung Schritt für Schritt zurückverfolgen und die entsprechenden Schritte zu guter Letzt revidieren.
Betrachten wir also Depression einfach mal als ein starres Verhaltensmuster. Für starre Verhaltensmuster sind drei Elemente kennzeichnend:
Eine frühe, später vielfach in Vergessenheit geratene äußere Ursache.
Eine Reaktion auf diese Ursache, die aus dem einen oder anderen Grund ungesund beziehungsweise niemals hinterfragt worden ist.
Eine langfristig bestehende Gewohnheit, die zum Automatismus wurde.
Machen wir uns von der Vorstellung frei, alle möglichen Depressionen– zumal jene leichten bis mittelschweren, unter denen die meisten deprimierten Menschen leiden– müssten als Krankheit bezeichnet werden. (Bei einer schweren chronischen Depression hingegen sollte man selbstverständlich ebenso verfahren wie bei anderen schweren Gemütserkrankungen.) Falls Sie sich nach einer unliebsamen Scheidung deprimiert fühlen, sind Sie ja nicht krank. Wenn eine Frau ihren geliebten Mann verliert, sagen wir vielleicht: » Sie ist vor Trauer außer sich. « Aber Trauer ist ganz natürlich und für die mit ihr einhergehende Depression gilt das Gleiche. Depression, das können wir daraus entnehmen, ist eine natürliche Reaktion, die fürchterlich entgleisen kann.
Wenn eine Depression entgleist, sind alle drei eben angesprochenen Faktoren beteiligt:
Äußere Ursachen: Jeden von uns können äußere Vorkommnisse deprimieren. Während der schweren wirtschaftlichen Rezession im Jahr 2008 erklärten 60Prozent der Menschen, die damals ihren Arbeitsplatz verloren hatten, die Situation mache ihnen Angst beziehungsweise sei für sie deprimierend. Viel höher liegt der Prozentsatz unter denjenigen Arbeitern und Angestellten, die länger als ein Jahr ohne Job dastanden. Wenn Sie sich über lange Zeit entsprechend großem Stress aussetzen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Depression. Langzeitstress kann durch einen öden Arbeitsplatz, eine getrübte Beziehung, längere Phasen von Einsamkeit und gesellschaftlicher Isolation oder durch eine chronische Erkrankung zustande kommen. In gewissem Maß reagiert ein deprimierter Mensch auf Widrigkeiten, die entweder aktuell oder in der Vergangenheit eingetreten sein können.
Die Reaktion: Eine äußere Ursache kann nur dann einen deprimierenden Einfluss auf Sie ausüben, wenn Sie in einer bestimmten Weise reagieren. Wer deprimiert ist, hatvor langer Zeit, bei irgendeinem Missgeschick im Leben, eine grundverkehrte Reaktion erlernt– eine Reaktion von vergleichbarer Art wie die nachfolgend genannten:
Das ist alles mein Fehler.
Ich bin nicht gut genug.
Nichts wird klappen.
Ich habe gewusst, dass es schiefgehen würde.
Da kann ich nichts machen.
War bloß eine Frage der Zeit, dass das passiert.
Kleine Kinder, die eine dieser Reaktionen an den Tag legen, haben das Gefühl, so zu reagieren mache Sinn. Allerdings vermitteln sie ihrem Gehirn dadurch eine bestimmte Sicht der Realität. Und das Gehirn hält sich einfach an das Bild von der Wirklichkeit, das es durch uns zu sehen gelernt hat. Kleine Kinder haben wenig Kontrolle über ihr Leben, sie sind schwach und verletzlich. Ein liebloser Elternteil
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