Super-Brain - angewandte Neurowissenschaften gegen Alzheimer, Depression, Übergewicht und Angst
keine hirnspezifische Antwort parat. Wir würden sagen, dass der Geist einfach keine kopfstehende Gesichtserkennung benötigt und das Gehirn sie aus diesem Grund nie entwickelt hat. Solch eine Feststellung fände ein Darwinist absurd. In strikt darwinistischen Begriffen gibt es keinen Geist, keine Wegweisung der Evolution, keinen Sinn und Zweck– es gibt keine andere Form von Vererbung als diejenige durch zufällige Mutationen auf der genetischen Ebene.
Wenn Rudy als Genforscher zulässt, den Geist in die Gleichung mit einzubeziehen, ist das durchaus realistisch. Aber er teilt die Überzeugung, dass das Gehirn sich in Einklang mit dem, was der Geist will, entwickelt und entfaltet. Als Beweis führen wir hier die rasch sich wandelnde Vorstellung von der Geist-Gehirn-Verbindung an. Liefert die Neuroplastizität den Beweis, dass unser Verhalten und die Entscheidung für diese oder jene Lebensweise das Gehirn verändern können, dann brauchen wir gedanklich nur noch eine kleine Wegstrecke zurückzulegen, um diesen Prozess als evolutionär zu bezeichnen. Während wir uns weiterentwickeln, zeigen sich in unserem Gehirn und in unseren Genen nach und nach entsprechende Veränderungen.
In puncto Prädisposition erhält man nach dem heutigen Erkenntnisstand der Neurowissenschaft ein uneinheitliches Bild mit einigen rätselhaften Aspekten. Wir betrachten die Veranlagung im Kontext der menschlichen Entwicklung nicht länger als etwas von den umweltbedingten Einflussfaktoren Getrenntes. In manchen Fällen steht Veranlagung im Vordergrund: Bei einigen musikalischen Wunderkindern geht es schon im Alter von zwei Jahren damit los, dass sie auf dem Klavier eine Fuge von Bach hämmern. Doch Musik lässt sich auch erlernen – eine Frage der Förderung. Dasjenige Lager, das geltend machen will, sämtliche Prädispositionen seien genetisch bedingt, kann nur einen Teil der Wahrheit für sich reklamieren. Aber auch das andere Lager, das dem angeborenen Talent eine untergeordnete Bedeutung zuweisen möchte, indem es erklärt, 10 000Übungsstunden könnten Ihnen zu Fähigkeiten verhelfen, die denjenigen eines Genies gleichen, hat nur die halbe Wahrheit auf seiner Seite.
Kommen wir noch einmal auf die Polyglotten und ihre Fixierung auf das Erlernen Dutzender Sprachen zurück. Für das Erlernen einer Sprache muss der Mensch sowohl bestimmte genetische Voraussetzungen mitbringen als auch solche nicht gerade klar definierten Eigenschaften wie Intelligenz und Aufmerksamkeit. Förderung ist eine weitere Voraussetzung. Diese umfasst zum Beispiel das Üben, um das Gehirn in einer neuen Fertigkeit zu trainieren. Wo aber soll man bitte die anderen unerlässlichen Voraussetzungen einsortieren? Geduld zum Beispiel, Begeisterung, Leidenschaft, ja allein schon das Interesse, das man aufbringen muss, um eine Sprache erlernen zu können? Muss es eigens ein Gen geben, damit man für das alljährlich veranstaltete Fest des Bundesstaats Iowa, die Iowa State Fair, Jahr für Jahr eine Kuh aus Butter modelliert? Menschen entwickeln sehr spezielle, bisweilen sogar sonderbare Interessen.
Weitaus rätselhafter ist, wie ein beeinträchtigtes oder erkranktes Gehirn mit seinen Leistungen diejenigen eines gesunden Gehirns in den Schatten stellen kann. Das trifft bei der Inselbegabung (dem Savant-Syndrom) zu, die heutzutage als eine Form von Autismus angesehen wird, im einen oder anderen Fall aber auch mit einer Verletzung des rechten Schläfenlappens in Verbindung gebracht wird. Unter dem Savant-Syndrom leidenden Menschen (seit dem ausgehenden 19.Jahrhundert wurden sie– mit einem von der Londoner Medical Society geprägten Ausdruck– idiot savants genannt, » beschränkt Wissende « ) mangelt es an einfachen Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung, zugleich verfügen sie jedoch über ganz außerordentliche Fertigkeiten.
Menschen mit einer musikalischen Inselbegabung können beispielsweise auf dem Klavier jedes Stück spielen, das sie bloß ein einziges Mal gehört haben, überaus komplexe klassische Musik inbegriffen, obgleich sie nie eine Stunde Klavierunterricht erhalten haben. Ein sogenannter Kalenderrechner kann Ihnen aus dem Stegreif sagen, auf welchen Wochentag ein x-beliebiges Datum fällt. Dabei stellt auch ein Datum wie der 23.Januar 3323 für ihn überhaupt kein Problem dar. Sprachlich Inselbegabte gibt es ebenfalls. Ein an diesem Syndrom leidender Junge war nicht in der Lage, auf sich selbst aufzupassen oder sich ohne fremde Hilfe draußen auf der
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