Super Nova (German Edition)
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Erkenntnis
Ich weinte bis spät in die Nacht, um den Schmerz der Schutzl o sigkeit verarbeiten zu können. Dog ließ es geschehen – er und Darko wachten neben mir, bis meine letzte Träne versiegt war.
Es war schon lange nach Mitternacht, als ich mich zitternd aus Dogs Bett erhob, in dem ich mich seit Stunden meinen Ängsten ergeben hatte. Die übermächtige Verletzbarkeit, der ich mir bewusst wurde, und meine eigene Wehrlosigkeit trieben mich an den A b grund des menschlichen Seins.
Das Gefühl, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, das fundamentalste Verlangen eines jeden Menschen, war mir geno m men worden . Ich musste mich mit der Tatsache abfinden, dass ich etwas Mächtigerem schutzlos ausgeliefert war. Ich konnte nichts dagegen tun, außer auszuharren, mich in Demut unterzuordnen und es weiterhin bewusst über mich ergehen zu lassen.
Eine Frage quälte mich mehr als alle anderen: Wann würden sie wieder kommen – um mich zu holen? Ich würde mich abends nie wieder in mein Bett legen können, um friedlich und mit ruhigem Gewissen einzuschlafen, so viel war mir klar. Die Angst wurde mein neuer Begleiter – bei Tag und noch mehr bei Nacht.
Eine neue Woche brach an. Es war Montag, der 15. April. Ich kann nicht mehr sagen, wie ich die letzte Nacht überstanden habe, aber ich glaube, dass ich in meinem Bett saß und das Haus hell erleuchtet war. Meine Sinne waren bis zum Maximum gereizt. Jedes noch so winzige Geräusch versetzte mich in Panik. An diesem Zustand änderte sich auch in den nächsten Tagen nichts. In jeder Nacht wachte ich angestrengt und unablässig, nahm jeden noch so kleinen Ton wahr, auch wenn es sich nur um das Summen der Grillen draußen handelte, um mich ausgelassen meinem Schrecken hingeben zu können. Selbst das Singen der Vögel am Morgen verhieß nichts Gutes mehr – es hätte auch der Klang von etwas viel Bedrohlicherem sein können.
Womöglich ein Lockruf, um mich zu besänftigen.
Aller Frieden war aus m einem Leben gewichen. P aranoid und gezeichnet von meinen schlaflosen Nä chten , fiel meine Leistung in der Schule auf ein Rekordtief. Mein soziales Leben brach völlig in sich zusammen. Ich machte die Nacht zum Tag und schlief nur noch nachmittags einige Stunden. Bei der ersten abendlichen Dä m merung saß ich hellwach im Bett – und das nun schon seit einer kleinen Ewigkeit.
Vierzehn Tage waren vergangen, seitdem mir Dog die Augen g e öffnet und mir Dinge erzählt hatte, über die ich mit niemandem reden konnte. Es waren grauenvolle Wahrheiten, mit denen ich im Stillen selbst fertigwerden musste.
Vierzehn Tage, in denen ich wie eine Geisteskranke durch das Leben wandelte. Maria und Torben erkundigten sich besorgt, ob es eventuell doch besser wäre, einen Arzt um Rat zu fragen.
Ein Arzt! Ich musste ironisch auflachen. Als ob mich ein Arzt oder sonst jemand auf der Erde vor dem Unbekannten und Mächt i gen schützen konnte.
Wissen macht einsam – das lernte ich in dieser Zeit.
Ein Wissen, für das man Unverständnis ernten würde, wenn man es aussprach. Jetzt erkannte ich, weshalb Dog schon seit vielen Jahren zurückgezogen lebte. Er war der Außenseiter, der Verrückte – nur weil er den anderen wissentlich überlegen war.
Drohte mir das gleiche Schicksal?
Ich musste an Piri denken … Der arme Junge wurde genauso entführt wie ich. Ob er sich daran eri nnern konnte? Ich hoffte nicht! Ich wollte auch nicht mit ihm darüber reden – aus Sorge, dass er sich dann seiner Entführungen bewusst werden würde und die gleiche Angst durchstehen müsste wie ich.
Nun ergab es auch einen Sinn, dass Frau Büttner ihn immer we g sperrte – ob sie die Wahrheit kannte? Und wie viel wusste Sascha tatsächlich? Hatte er sie gesehen?
Fragen über Fragen, doch es war keine einzige Antwort in Sicht. Weder Rania noch Tommy konnte ich einweihen, keinem konnte ich vertrauen und mit den Kindern wollte ich nicht über dieses Thema reden – noch nicht.
Die Tage gingen nur schleppend vorüber. Ich lebte nicht mehr, das Leben zog an mir vorbei. Es gab nur noch Dog. Er war mein Rettungsanker in dieser schwierigen L ebensphase. Ich besuchte ihn hin und wieder , wie auch am Sonntag, dem 29. April.
Es war später Nachmittag und ich hatte ausgeschlafen. Das war mir nur noch an den Wochenenden vergönnt, wenn ich mich bereits vormittags hinlegen konnte. Gegen siebzehn Uhr schlenderte ich auf sein Waldgrundstück und traute meinen Augen nicht.
Konnte
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