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Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sören Sieg
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oder sie würde sich gleich im Treppenhaus an mir vorbeischlängeln. Und das Bad war nicht geputzt, die Bettwäsche nicht gewechselt, na großartig.
    Es war saukalt draußen. Und Mütze und Handschuhe hatte ich oben gelassen. Phantastisch. Ich würde mich erkälten. Wenn ich am Kopf fror, erkältete ich mich sofort. Eine wunderbare Aussicht. Denn in meinem Beruf konnte ich mich nicht krankschreiben lassen. Meine Kolumne musste ich abliefern, sonst war ich sie los. Und meine wenigen Auftritte sagte ich nicht ab, die konnte ich immer irgendwie durchkrächzen. Ich habe schon mit neununddreißig Grad Fieber auf der Bühne gestanden. Es war eine sehr kleine Bühne in einem winzigen Dorf am Bodensee, die Scheinwerfer hingen an einer niedrigen Traverse am Bühnenrand und waren direkt auf mich gerichtet, zwei Stunden lang, sie erhitzten meinen Körper aus etwa zwei Metern Entfernung auf gefühlte fünfhundert Grad. Und als Hausmann und Vater konnte ich erst recht nicht krank machen. Charlotte ersetzte mich nicht, sie ließ einfach alles liegen. Sie sah nicht mal, was zu tun war, weil sie mit Mary Longoria und Niklas Luhmann und der Synthese von System- und Spieltheorie beschäftigt war. Punkt zwölf für unsere Paartherapie.
    Ich stand vorm Haus, fror, konnte mir meine Mütze nicht holen und rieb mir die Hände. Ich musste jetzt die Kolumne schreiben. In der Staatsbibliothek. Dreizehn Uhr war Deadline. Aber den Laptop, stellte ich fest, hatte ich auch oben gelassen. Vielleicht sollte ich doch klingeln? Sie war ja noch gar nicht da. Wenn ich aber jetzt klingelte, und er drückte nur auf den Summer und wartete im fünften Stock und öffnete die Tür in der Erwartung, SIE stünde dahinter? Nein, ich wollte Max nicht in einer Tigerfellrobe sehen, nicht im Lackkostüm und nicht im Nazi-Ledermantel, ausgeschlossen. Ich würde zu Papier&Stift gehen und mir Papier und Stift kaufen. Dann bräuchte ich nicht mehr in die StaBi, ich könnte meine Kolumne in einem Café schreiben. Jeden Mittwoch stritten sich Charlotte und ich über die Kolumne. Da erschien sie nämlich. Und wir stritten, weil mir die Redaktion nichts dafür zahlte, obwohl es die zweitgrößte Hamburger Zeitung war. Aber gerade deshalb, so gab mir der Redakteur immer zu verstehen, sollte ich, der rasend unbekannte Comedian Philipp Kirschbaum-Vahrenholz, froh sein, überhaupt die zweiundsechzig Zeilen zu haben, auch wenn sie hinten in den Kulturseiten versteckt waren.
    »Du verkaufst dich unter Wert«, sagte Charlotte. Jeden Mittwoch.
    Und ich sagte dann: »Diese zweiundsechzig Zeilen, Charlotte, sind die einzige PR, die ich im gesamten verdammten Kulturbetrieb dieses Landes überhaupt habe.«
    Dann lächelte sie müde und sagte: »Keiner nimmt dich ernst, Philipp. Weil du dich selbst nicht ernst nimmst.«
    Ich ging zu Papier&Stift, aber merkwürdigerweise sehr langsam. Ich ging sonst nie langsam. Ich hatte Fußball gespielt, so lange ich ein Kind war, ich musste mich bewegen, aber ich wollte hier gar nicht weg, stellte ich fest, ich wollte diese Lucy sehen. Ein Taxi kam, mein Herz blieb stehen. Die Tür öffnete sich, ein Geschäftsmann stieg aus, Fehlalarm. Noch fünf Minuten, nahm ich mir vor, würde ich hin und her gehen und auf sie warten und schon mal über die Kolumne nachdenken.
    Da ich sie Dienstag um eins abgeben musste, fing ich nie vor Montag an, darüber nachzudenken. Und mindestens einen halben Tag lang fiel mir rein gar nichts ein. Ich las alle Zeitungen, surfte auf YouTube herum, nichts. Nach drei Stunden kamen erste Existenzängste. Dann blätterte ich mein Hemingway-Notizbuch durch, in das ich unterwegs alles hineinkritzelte, was mir einfiel, während ich Linus zum Klettern brachte oder auf einem Elternabend unter der gequetschten Stimme der flachbrüstigen Klassenlehrerin litt oder mit Luna Squash spielte. Hemingway hatte das auch so gemacht, er hatte das gleiche schwarze Notizbuch mit dem festen Einband. Mit dem Unterschied, dass er nie zu einem Elternabend hatte gehen müssen und die Notizen aus diesem Buch ihm den Literaturnobelpreis eingebracht hatten.
    Das Taxi. Das musste es sein. Es hielt direkt vor der Nummer siebenunddreißig. Unser Haus. Sie zahlte, verlangte keine Quittung, stieg aus. Es war noch viel schlimmer, als ich befürchtet hatte. Sie war so tödlich sexy wie Isabel Adjani in Ein mörderischer Sommer . So eine Frau hatte ich in Hamburg noch nie gesehen. Jedenfalls nicht auf den Elternabenden, auf die Charlotte mich gehen ließ mit der

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