Superdaddy: Roman (German Edition)
Und mein Blick fiel auf die feine, schmale Narbe über ihrer rechten Augenbraue. Ein Junge namens Mirko hatte ihr in der Grundschule dort eins aufs Auge gegeben. Daraufhin hatte sie ihn krankenhausreif geprügelt. Und ich bekam allmählich Herzrhythmusstörungen, denn ich hatte die Bettwäsche noch nicht gewechselt und das Klo noch nicht geputzt. Und gleich würde es klingeln.
»Vögeln?«, fragte sie. Auf so was konnte nur sie kommen. Sie hatte den sechsten Sinn für den unpassenden Moment. Genau das machte sie an.
»Charlotte, dein Seminar geht in fünfundzwanzig Minuten los.«
»Scheiß drauf«, seufzte sie. »Es ist zu frustrierend! Eine farbige Lesbe aus den Staaten mit dem Pornothema. Dagegen hätte ich nur als jüdische Enkelin einer kommunistischen Holocaustüberlebenden eine Chance. Komm!«
Sie fragte gar nicht erst, sie zog sich schon aus. Ich kannte sie nicht anders. Unseren ersten Sex hatten wir mit zusammengepressten Lippen hinter der Spiegel -Wand im Zeitschriftensaal der Soziologenbibliothek gehabt. Um zehn waren wir fertig. Um fünf nach zehn verließ sie das Haus. Ich hörte, wie sie unten auf Max traf. Die Wohnung lag an einem Innenhof, der wie ein Schalltrichter wirkte. Das war sehr hilfreich, wenn ich nachts einschlafen wollte und irgendein Nachbar betrunken nach Hause kam oder bis zum frühen Morgen zu James Last mit seinen Bierfreunden feierte. Dann hatte ich viel Zeit, über mein Leben oder eine neue Pointe nachzudenken, während Charlotte neben mir schnarchte und ab und zu im Schlaf brabbelte, weil sie so etwas grundsätzlich nicht hörte.
»Hey, was machst du denn hier?«, rief sie enthusiastisch. Max antwortete so leise, dass ich es nicht verstand. »Hat er mir gar nicht erzählt, der Esel!«, rief sie und lachte so dreckig, wie nur sie es konnte. Aber was bitte hatte Max zu ihr gesagt?
»Und? Wo kommst du her? Wo hast du gestern übernachtet?«, fragte sie noch, obwohl sie schon mindestens eine Viertelstunde zu spät sein würde und achtzig Studenten auf sie warteten. Wieder konnte ich seine Antwort nicht verstehen.
»Ich heirate dich!«, juchzte sie. Und fing eine Plauderei an. Ich starb oben hinterm Wohnzimmerfenster, wo ich lauschte. Zum Glück würgte Max sie so effizient ab, wie nur er es fertig brachte. Sie schrie ihm noch irgendetwas Albernes zu, während ihre Absätze sich klackernd entfernten.
»Du hast Nerven.« Max tippte auf seine Schweizer Uhr.
»Sie hätte eigentlich längst weg sein müssen«, entschuldigte ich mich, »sie hat Seminar. Und es war ja auch extrem wichtig, dass sie keinen Verdacht schöpft …«
Max hatte während dieses Verteidigungsmonologs seinen Mantel schon aufgehängt. Wenn alle Handelsblatt -Leser einen High-End-Manager wie ihn hätten zeichnen sollen, keine Zeichnung hätte ihm geähnelt. Er war weder groß noch sportlich noch markant. Keine Denkerstirn, keine Adlernase und keine blauen Augen. Nein, mein unschlagbarer Max war klein und weich und rundlich, seine ovalen Brillengläser betonten noch sein Mondgesicht, und seine Wangen waren von einem gesunden Rot, als käme er gerade vom Rodeln. Wahrscheinlicher war aber, dass er sich gerade aufgeregt hatte. Max’ Perfektionismus war schon paranoid. Für ihn war es eine Katastrophe, dass es bereits zehn nach zehn war.
»Der Schlüssel!«
Wenn er es eilig hatte, ging er zu Zwei-Wort-Sätzen über. Aber ich würde ihm den Schlüssel nicht geben. Mein Vorsatz stand fest.
»Der, äh, ach so, ja, genau, also ich, das wollte ich überhaupt noch sagen, also …«
Max stand ganz still vor der Garderobe und hielt die Hand auf. »Philipp!«
Durch irgendeinen Trick verwandelte er sich in diesem Moment in meinen Vater. Und ich war acht Jahre alt. Ich nahm den Schlüssel vom Haken und gab ihn Max. Er lächelte für einen sehr kurzen Moment und sah mich an mit seinen riesengroßen, braunen Knopfaugen, die einen dazu verleiten, ihm alles zu verzeihen.
»Bis nachher!« Damit schob er mich aus der Tür.
Ich konnte gerade noch meine Outdoorjacke schnappen und tapste die Treppen runter. Ich brauchte doch einen Hypnotherapeuten: »Sie bauen sich vor Ihrem Gegner auf. Sie fletschen die Zähne. Sie brüllen. Sie setzen sich durch. Sie sind der Leitwolf!«
Stattdessen klopfte mein Herz, weil das Ganze so schnell ging, weil ich mich für die missglückte Übergabe schämte, weil ich mir den Schlüssel hatte abnehmen lassen und weil ich IHR gleich begegnen würde. Vielleicht stand sie schon vor der Haustür,
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