Supernova
Frank überraschend sanft und
verständnisvoll mit ihr umging, machte es ihr sehr zu schaffen,
diese entsetzlichen Minuten auf dem Gang vor ihrem Elternhaus noch
einmal durchleben zu müssen, sodass sie trotz aller Versuche,
sich zu beherrschen, doch anfing zu weinen. Nachdem sie auf der
Fähre Sitze der dritten Klasse in Beschlag genommen hatte, war
es ihr gelungen, ein paar Stunden – wenn auch unruhig – zu
schlafen. Aber danach hatte sie gleich wieder unter Druck gestanden:
Zuerst hatte sie den Weg zur Romanow suchen müssen und
danach Frank. »Ich habe Durst«, sagte sie.
»Und…«
»Ich hatte versprochen, Sie zum Frühstück
einzuladen, stimmt’s? Tut mir Leid, ich hab’s über dem
Interview völlig vergessen.« Frank klang so, als hätte
er ein schlechtes Gewissen, aber es schwang noch etwas anderes mit.
Er zog ein Notebook heraus und reichte es ihr. »Suchen Sie sich
irgendetwas von der Speisekarte aus, alles, was Sie mögen.
– Hören Sie, das war ein großartiges Interview.«
Finster blickte er zur Tür. »Abschaum, wie ich gesagt
habe.« Nach den Gewitterwolken zu urteilen, die sein Gesicht
überzogen hatten, hätte eigentlich der Blitz einschlagen
und ein riesiges schwarzes Loch in die Wand reißen müssen.
»Und jetzt werde ich dieses Interview verschlüsseln und es
sofort als unbestätigtes Gerücht weiterleiten. Ich meine,
Sie wollen doch sicher nicht, dass es hier einfach liegen bleibt,
oder? Je schneller wir irgendeine Rückmeldung in den Händen
halten, desto besser, obwohl es ein Weilchen dauern kann. Aber je
eher diese Geschichte veröffentlicht ist, desto schneller merkt
dieser Abschaum, der Ihre Familie umgebracht hat, dass der Versuch,
Ihnen den Mund zu stopfen, ein Fehler war.« Er glühte
tatsächlich vor Zorn.
»Sie sagten, Sie wüssten etwas über die… diese
Übermenschen?«, fragte sie schüchtern.
»Ich… ich…« Er schloss den Mund. Wie ein
Bär, der von Hornissen geplagt wird, schüttelte er
wütend den Kopf. Gleich darauf seufzte er. »Ja, ich
weiß einiges über die Übermenschen«, räumte
er ein. »Viel mehr, als mir recht ist. Ich wundere mich nur,
dass sie in Septagon herumschnüffeln.« Er schien
nachzudenken. »Es wird wohl einiges kosten, Ihre Geschichte zu
überprüfen. Werde ein Schiff chartern müssen, wenn ich
tatsächlich vor Ort auf dieser Raumstation hinter einer
Supernova-Schockfront recherchieren will. Allerdings ist der Rest gar
nicht so schwierig. – Möchten Sie sich jetzt etwas zu essen
bestellen und es sich hier gemütlich machen?«
»Mhm.« Wednesday berührte die Speisekarte mit dem
Finger und wählte lustlos Agedashi-Tofu, Frühlingsrollen in
Tunfischhaut, Sing Chow-Nudeln und ein leuchtend grünes
Wundergetränk, das versprach, gegen Müdigkeit zu wirken.
»Essen – ja, ich kann mich noch dunkel an so was
erinnern.«
»Entspannen Sie sich.« Frank packte ein abgenutztes
Taschen-Keyboard aus, ein uraltes Modell, und hackte im Tempo eines
Maschinengewehrs darauf herum. »Wenn Sie so weit sind, geben Sie
mir Ihre Bestellung, ich nehme sie auf meine Rechnung.«
»Glauben Sie, dass ich in Gefahr bin?«, fragte sie mit
angespannter Stimme.
Als er ihr in die Augen sah, wurde ihr zum ersten Mal bewusst,
dass er besorgt wirkte. Angst passte gar nicht zu diesem Gesicht und
zu diesem Gorilla von einem Mann, sie gehörte eindeutig nicht
dahin. »Hören Sie, je eher das hier im Netz ist, desto
besser für uns beide«, erwiderte er. »Und deshalb,
wenn es Ihnen nichts ausmacht…« Er hämmerte erneut auf
die Tasten ein.
»Klar.« Wednesday seufzte. Nachdem sie ihre Speisen
ausgewählt hatte, schob sie ihm das Notebook hinüber.
»Journalisten, o je!« Sie spreizte die Finger und
bewunderte die Ringe an ihrer linken Hand. Intelligente Ringe, die
nicht aufzuspüren waren, gefälschte Ringe, Ringe, die ihr
die Identität einer reichen Tussi verliehen und mit geheimen
Anweisungen einhergingen. Wie fühlt man sich wohl, wenn man
wirklich reich ist?, fragte sie sich.
Die Londoner Times – Nachrichten Schlag auf Schlag
seit 1785! Für Sie zusammengestellt von Frank der Spürnase,
gesponsert von der Arbeitsgemeinschaft Thurn und Taxis, DisneyMob
Amusements, NPO Mikoyan-Gurevitch Spaceyards, Motorola al-Failaka
Bank, Glossolalia Translatronics und der First Universal Church of
Kermit.
EXKLUSIVBERICHT:
Mordermittlungen in Septagon, Mörder in Moskau
Die Times konnte sich soeben ein exklusives Interview mit
einer jungen Überlebenden der Moskauer
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