Supernova
unwohl
fühlte, wie sie jüngst festgestellt hatte. Das
Zurschaustellen entsetzlicher Ereignisse, die Abbildung von
Gräueltaten – als Geschichte getarnt –
löste bei ihr körperliche Übelkeit aus, besonders wenn
es sich um Dinge handelte, die sie mit eigenen Augen gesehen hatte.
Noch schlimmer fand sie das aalglatte Zurechtbiegen historischer
Ereignisse – die Geschichtsklitterung – und die Weigerung,
sich der historischen Wahrheit zu stellen.
»Ich könnte…« Morrow schüttelte den Kopf.
»An Ihnen ist mehr dran, als Sie herauslassen.«
Rachel bedachte sie mit einem bitteren Lächeln. »Meine
Güte, vielen Dank auch.« Sie rümpfte die Nase.
»Ich habe Ihnen erzählt, dass ich damit beschäftigt
bin, Bomben unschädlich zu machen, zu entschärfen. Aber
vielleicht wäre es präziser zu sagen, dass ich mich mit der
Aufhebung von Geschichte befasse.«
»Mit der Aufhebung von Geschichte?« Die Botschafterin
runzelte die Stirn. »Das klingt ja so, als wollten Sie die
Geschichte revidieren.«
»Will sagen: Ich versuche solche Ereignisse aus der Welt zu
schaffen, wie sie in Bauten wie dem Reichsfriedensministerium
dokumentiert werden.« Sie sah die Botschafterin an. »Und
was treibt Sie um?«
Die Botschafterin starrte Rachel mit zusammengekniffenen Augen an.
»Ich halte Ihre Bestrebungen für sehr löblich«,
sagte sie bedächtig. »Irgendwann würde ich gern mehr
über das erfahren, was Sie hier erlebt haben.« Aber
nicht jetzt, ich möchte ja nicht, dass mir das Mittagessen
hochkommt, unterstellte Rachel ihr zynisch. »Vielleicht
könnten Sie ein weiteres Treffen vereinbaren – zu einem
Zeitpunkt, der uns beiden passt?«
»Das werde ich tun.« Rachel nickte. »Passen Sie auf
sich auf.«
»Allerdings.« Morrow stand auf und streckte die Arme
nach ihrem Mantel aus. »Sie auch«, fügte sie impulsiv
hinzu. Gleich darauf folgten ihr die Leibwächter und der
Sekretär, wobei der Letztere Rachel misstrauisch beobachtete,
als seine Vorgesetzte aufbrach. Während sie in der Menschenmenge
verschwanden, wurde Rachel das Hauptgericht serviert. Sie aß
langsam und in Gedanken vertieft. Was Martin wohl denken
wird?
»Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
Selten hatte sie ihn so aufgebracht erlebt und niemals wegen einer
Sache, die sie selbst ihm erzählt hatte. »Warum? Wie kommst
du darauf, dass ich das nur zum Spaß sage?«
»Ich…« Er tigerte auf und ab, ein schlechtes
Zeichen. »Das nehme ich ja auch gar nicht an.« Ah, ein
Zeichen von Realismus. »Ich find’s einfach nicht gut,
aus tiefster Überzeugung nicht gut.« Er drehte sich
zu ihr um, sodass sein Rücken dem Bildschirm des Promenadendecks
zugewandt war, der die ganze Wand einnahm. Mit dem fast flachen
Horizont des Planeten im Rücken sah er so aus, als wandle er im
freien Raum. »Bitte, Rachel! Bitte sag mir, dass es nicht so
schlimm ist, wie es klingt, ja?«
Sie holte tief Luft. »Martin, glaubst du wirklich, ich
würde so umständlich vorgehen, wenn ich mich umbringen
wollte?«
»Nein, aber ich glaube, dass dein
Verantwortungsbewusstsein« - fast noch vor Rachel merkte er, auf
was seine Worte hinsteuerten, und er schwenkte schnell um, damit das
Gespräch keine böse Wendung nahm – »dich
möglicherweise dazu treibt, Arbeitszwänge zu akzeptieren,
die du nicht auf dich nehmen müsstest.« Er brach ab und
holte tief Luft. »Puh, ich will dir wirklich keine
Gardinenpredigt halten. Es ist ja dein Spezialgebiet und so weiter
und so fort.« Als er sie gleich darauf mit besorgtem Blick
ansah, merkte sie, wie sie dahinschmolz. »Aber bist du auch
sicher, dass nichts passieren kann?«
»Komm mir bloß nicht mit den
letzten Worten William Palmers«, [5] warf sie ihm als Antwort an den Kopf. »Natürlich kann ich
nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass nichts passieren
wird!« Trotzig verschränkte sie die Arme. »Es ist so
risikolos, wie ich es irgend machen kann. Und auf jeden Fall
sicherer, als zuzulassen, dass irgendein Verrückter fast
achthundert Millionen größtenteils unschuldiger Menschen
zum Tode verurteilt. Aber ein Risiko können wir nicht zu hundert
Prozent ausschließen. Falls du jetzt mit dem Versuch fertig
bist, mich zu bemuttern, könntest du mir dann bitte mal
zuhören? Ich möchte nämlich den ganzen Komplex
möglicher Bedrohungen mit dir durchgehen. Vielleicht kannst du
mir sagen, wenn dir was auffällt, das allen anderen entgangen
ist?«
»Den ganzen Komplex möglicher Bedrohungen…«
Martin schielte fast, als er
Weitere Kostenlose Bücher