Supernova
unruhig hin und her
rutschte.
»Hermann hat mir aufgetragen, nach dir zu suchen«, sagte
sie bedächtig. »Sagte, meine Verfolger würden mich
wahrscheinlich in Ruhe lassen, wenn du meine Geschichte an die
Öffentlichkeit bringst.«
»Was in gewisser Hinsicht wohl auch zutrifft«, murmelte
Martin vor sich hin. »Was gibt’s sonst noch zu
berichten?«
Wednesday holte tief Luft. »Ich bin auf einer der
Außenstationen Moskaus aufgewachsen. Unmittelbar vor der
Evakuierung sollte ich in Hermanns Auftrag eine bestimmte Sache
überprüfen. Und dabei habe ich eine… eine Leiche
entdeckt. In der Zollabteilung. Der Mann war ermordet worden. Hermann
gab mir die Anweisung, in der Nähe einige Unterlagen zu
verstecken – Material, das aus der Kapitänskajüte des
Schiffes stammte, das uns evakuiert hat. Ich bin ungeschoren
davongekommen, niemand hat’s bemerkt.« Sie zitterte,
irgendetwas machte ihr deutlich zu schaffen. »Vor einigen Wochen
hat dann irgendjemand meine Familie umgebracht und auch versucht,
mich zu töten.« Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an
Frank, als wäre er ihr rettendes Floß.
»Ich glaube nicht an Zufälle«, sagte Martin
bedächtig, während er im Rücken kalten Schweiß
spürte. Hermann hat bei dieser Sache die Hand im Spiel. Die plötzliche Gewissheit war so beängstigend, dass
seine Handflächen feucht wurden. Hermann war der Deckname, den
der Agent des Eschaton seinerzeit benutzt hatte, wenn er Martin mit
lukrativen Aufträgen versehen und irgendwo hingeschickt hatte.
Bis heute wusste Martin nicht, ob dieser Agent überhaupt ein
menschliches Wesen war. Also ist dem Mädchen etwas wirklich
Bedrohliches auf den Fersen. Wenn ich das Rachel erzähle, wird
sie völlig ausrasten! Ersuchte Wednesdays Blick.
»Hören Sie, ich möchte, dass Sie so bald wie
möglich mit meiner Frau reden. Sie ist… Wahrscheinlich
haben Sie meine Frau auf der Bühne gesehen. In der
Botschaft.« Er schluckte. »Sie ist die Expertin,
wenn’s um durchgeknallte Killer geht. Gemeinsam können wir
dafür sorgen, dass Ihnen nichts zustößt. Haben Sie
mittlerweile irgendeinen Verdacht, wer hinter Ihnen her sein
könnte? Wenn wir die Gruppe der Tatverdächtigen eingrenzen
oder davon ausgehen könnten, dass es dieselben Leute sind, die
auch die Moskauer Diplomaten verfolgen, wäre es nämlich
viel leichter für uns…«
»Selbstverständlich habe ich einen Verdacht.«
Wednesday nickte. »Hermann hat mir gestern Nacht mitgeteilt,
dass eine Fraktion der Übermenschen dahinter steckt. Eine Gruppe
dieser Leute befindet sich an Bord, ihr Reiseziel ist Newpeace.
Hermann rechnet damit, dass sie nach dem ersten Sprung irgendetwas
Drastisches unternehmen werden.« Sie verzog das Gesicht.
»Als Sie zu uns kamen, haben wir gerade überlegt, was wir
jetzt tun sollen…«
possenspiele
Franz saß in der Falle.
Vor einiger Zeit hatte er eine Geschichte über wilde Tiere
gehört, allerdings konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was
das für Tiere gewesen waren: Wenn sie in eine Falle gerieten,
kauten sie sich ein Bein ab, um dem Jäger zu entkommen. Dieser
Mythos war zwar tröstlich, seiner Ansicht nach jedoch eindeutig
falsch. Denn wenn die eigene Hand von stählernen Klauen
umschlossen wird und die Situation ausweglos erscheint, lernt man
letztendlich, sich mit dem Gegebenen abzufinden.
Hoechst war wie eine unersättliche Schwarze Witwe aus der
Anonymität des Direktorats aufgetaucht, hatte ihm Erica genommen
und sein Leben mit ihrer sexuellen Lernbegier vergiftet. Aber sein
Leben war nicht nur vergiftet, sondern wurde von ihr auch bedroht. Damit habe ich nicht gerechnet. Doch er hatte getan, was sie
ihm befohlen hatte, und sie hatte das eigene Versprechen ihrerseits
nicht gebrochen: Anders als die Schwarze Witwe, hatte sie ihm beim
Befriedigen ihrer Lust nicht den Kopf abgebissen, hatte sich nicht an
seinem pulsierenden Halsstumpf gütlich getan. Dennoch machte ihm
sein geplagtes Gewissen so heftig zu schaffen wie ein verletztes
Körperglied.
In Hoechsts Gepäck befand sich ein fast fünfzig Gramm
schwerer Erinnerungsspeicher aus Diamant, auf den zahllose Seelen und
Genome heruntergeladen waren – die Seelen und Genome der Leute
aus U. Scotts Netzwerk, die Hoechsts Säuberungsaktion zum Opfer
gefallen waren. Jeden Morgen erwachte er mit rasendem Herzen und
musste nach Luft ringen, weil ihm klar war, dass er am Rande eines
Vulkans wandelte. Er wusste zwar, dass der Tod durch ihre Hände
kein endgültiger sein würde
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