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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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– gemeinsam mit seiner
Geliebten und unzähligen anderen würde er in den
Simulationsräumen des ungeborenen Gottes zu neuem Leben erwachen
–, aber das machte ihm die Sache nicht leichter. Zum einen
musste der ungeborene Gott ja erst noch erschaffen werden, was die
Vernichtung des Feindes voraussetzte. Und zum anderen…
    Wenn man sich verliebt, ist es so, als schwöre man damit
dem alten Glauben ab, dachte er. Es sind zwei Seiten derselben
Medaille. Jedenfalls war es ihm und Erica so gegangen, als sie
unter den Barbaren gelebt hatten. Er war nicht mehr sicher, woran er
glaubte. Die Vorstellung von einem ungeborenen Gott, der die
menschlichen Schwächen durchforstete und nach Verwertbarem
suchte, bereitete ihm eine Gänsehaut. Aber diese Entwicklung war
vom Schicksal vorgezeichnet: Wenn die Übermenschen das Eschaton
schließlich vernichtet hatten, würden sie die gewaltige
Aufgabe der Neuschöpfung in die Hände nehmen und eine
Gottheit nach ihrem eigenen Bilde schaffen. Und diese Gottheit
würde wohl kaum eine gnädige, nachsichtige sein. War es
besser, den endgültigen Tod zu sterben, als sich damit
auseinander setzen zu müssen, was ihn am Endpunkt der Geschichte
erwartete und wo sein Platz in dieser kollektiven Neuschöpfung
sein würde? Je mehr er darüber nachdachte, desto klarer
wurde ihm, dass er es nicht schaffen würde, sich auf die eine
oder andere Weise aus der Zwickmühle zu befreien: Das eigene
Gewissen hinderte ihn daran, allein, ohne Erica, die Flucht nach vorn
anzutreten. Und sein Lebensekel reichte auch nicht aus, die Schwarze
Witwe dazu zu bringen, ihn hinzurichten.
    Aus all diesen Gründen kniete er am Abend des ersten ganzen
Flugtages, eine Stunde vor dem ersten Sprung, neben Marx auf dem
Fußboden von Portia Hoechsts Luxuskabine und half ihm dabei,
die Kammern mobiler, rückstoßfreier Abschussvorrichtungen
mit Munition zu bestücken. Derweil waren Samow und Mathilde
damit beschäftigt, ihre Beutel mit trickreichen Utensilien
auszustatten. Wir werden es wirklich tun, dachte er
ungläubig, während er auf die flache Patrone starrte. Sie wird es wirklich tun.
    Die Vorstellung brachte ihn aus der Fassung. In seinen
optimistischeren – und unrealistischen – Momenten hatte er
angenommen, das Kunststück gemeinsam mit Erica vielleicht doch
bewerkstelligen zu können: vor der Rasse der Übermenschen
mit ihrer eisernen Willenskraft zu fliehen, der Geschichte zu
entkommen, wegzulaufen, sich zu verstecken und eine ferne Welt zu
finden, auf der sie leben, arbeiten und sich dieser seltsamen
Perversion namens Liebe hingeben konnten. Um später den
endgültigen Tod zu sterben, zu Humus zu verwesen, niemals unter
dem hasserfüllten Blick des allwissenden Kindes der Letzten Tage
wiederauferstehen zu müssen. Aber Flucht hatte sich als grausame
Illusion erwiesen, genauso wie die Freiheit oder die Liebe. Als
grausame Illusion, die lediglich dazu diente, die eiserne Hand der
Übermenschen leichter zu ertragen.
    Er ließ die Patronen im Waffenmagazin einrasten, griff nach
den nächsten und lud sie in die obere Kammer. Sie hatten
Daumengröße; an ihrer Spitze glänzten Sensoren, an
ihrem Ende saßen die winzigen Schlitze, die sie mit den mit
Treibstoff betriebenen Raketen verbanden. Jeder Schuss ein
tödlicher Treffer.
    Jedes Mal, wenn er ein weiteres intelligentes Geschoss ins Magazin
schob, spürte er, wie sich in seinem Inneren etwas zusammenzog.
Er musste daran denken, wie Jamil den Apparat zur Abspeicherung von
Ericas Gehirn in ihren Hinterkopf getrieben und sie damit in eine
sehr viel verlässlichere, seelenlose Hülle verwandelt hatte
– ein Opfer für den Altar des ungeborenen Gottes, der das
Urteil über sie fällen würde. Tötet sie alle,
der Herr wird die Seinen schon erkennen. Und: Der alte Gott
ist tot; wir müssen die neuen Götter werden.
    »Das hier ist voll«, sagte er und reichte Marx das
Magazin.
    »Das reicht für diesen Waffensatz.« Sorgfältig
legte Marx eine der Handfeuerwaffen und ein dazu gehöriges
Bündel von Magazinen auf die Seite. »Okay, der nächste
Satz. Beeilen Sie sich, wir haben nur eine Stunde zur
Vorbereitung.«
    »Ich beeile mich ja.« Franz’ Hände flogen
geradezu. »Niemand hat mir bisher gesagt, wozu ich während
der Aktion eingeteilt bin.«
    »Vielleicht liegt das daran, dass sie noch nicht entschieden
hat, ob sie Sie lebend dabeihaben will.«
    Franz bemühte sich, auf Marx’ brutale Einschätzung
der Situation gar nicht zu reagieren. Es war nur allzu

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