Supernova
es wünscht«, sagte er knapp. Die
Wiederverwerterin neigte den Kopf und sah schweigend zu. Hoechst
versuchte, nicht auf sie zu achten. Sie würde sich jetzt nicht
drücken können. Da eine Wiederverwerterin anwesend war, die
alles beobachtete und vorhatte, den entnommenen Sinnesapparat sofort
ins Netz ihres Ordens einzuspeisen, würde jeder Versuch einer
Täuschung oder eines Gnadenaktes auf der Stelle entlarvt
werden.
Als der Wächter U. Scotts Nacken mit seinem Stab
berührte, kehrte ein gewisses Mienenspiel zurück. Ein
Finger zuckte, und er murmelte irgendetwas, um Selbstkontrolle
bemüht: »Portia, wie konnten Sie das tun?«
»Man hat mir bestimmte Fakten zur Kenntnis gebracht«,
erwiderte sie trocken und bemerkte dabei beiläufig, wie blass
der hinter dem Stuhl stehende Bayreuth geworden war. Fakten, die
ich nicht ignorieren konnte, als sie erst einmal auf dem Tisch lagen, fügte sie innerlich der eigenen Rechtfertigung hinzu.
»Schlampige Vorgehensweisen. Verstöße gegen die
bewährten Praktiken und Traditionen. Potenzieller
Verrat.«
Er schloss die Augen. »Ich würde niemals Verrat
begehen.«
»Nicht auf Anweisung«, sagte sie und verdammte sich
sofort für die Schwäche, ihm vor den Augen der
Wiederverwerterin, die alles aufzeichneten, auch nur so viel
zuzugestehen. »Trotzdem. Es wurde das Risiko einer Enttarnung
festgestellt und, was noch schwerer wiegt, unter den Teppich
gekehrt.« Sie beugte sich über ihn und legte ihre
feingliedrige Hand auf seine bewegungsunfähige Schulter.
»Das konnten wir nicht durchgehen lassen«, sagte sie
leise.
»Ich war gerade dabei, alles zu bereinigen.« Er klang
bereits unendlich müde; sicher hatte das Uploading schon sein
Kleinhirn verzehrt und war jetzt dabei, seinen Thalamus zu schlucken,
damit er für die Nachwelt und zum Ruhm des ungeborenen Gottes
konserviert wurde. Ohne den Aktivator würde er bald nicht nur
gelähmt, sondern tot sein. Allerdings würde er sowieso
schnell sterben, sobald ihm die Wiederverwerterin seinen Verstand
nahm. »Wussten Sie das nicht, Portia? Ich dachte, Sie…
Sie…«
»Stimulator.« Vor Wut schäumend, schnippte sie mit
den Fingern. Gib mir jetzt bloß nicht den Geist auf! Seine Schulter fühlte sich wie ein Stück totes Fleisch
an, fest und unbeweglich. Es lag ein widerlicher Geruch in der Luft.
Falls er jetzt schon die Kontrolle über seine
Schließmuskeln verloren hatte, musste er weiter hinüber
sein, als ihr recht sein konnte. »Zeugin der Wiederverwertung,
ich verlange Aufnahme dieses Mannes in seine genetische Familie. Sein
Fallbeispiel hat zwar bewiesen, dass auf ihn nicht Verlass ist, aber
ich bin der Meinung, dass sich der Phänotyp bei angemessener
Anleitung als durchaus stabil und effizient erweisen kann.«
Bayreuth zwinkerte und sah sie verblüfft: an. Die
Wiederverwerterin nickte. »Ihr Gesuch ist registriert
worden«, sagte sie distanziert. »Es wird eine Genehmigung
zur Reproduktion in Betracht gezogen. Oder hatten Sie an einen Klon
gedacht?«
»Nein, nur an eine Rekombination.« Hoechst beugte sich
noch weiter vor und starrte U. Vannevar Scott in die Augen. Dabei
fielen ihr frühere, unschuldigere Zeiten ein, als sie beide als
Praktikanten im Stab eines Übermenschen gearbeitet hatten. Sie
dachte an die erstohlenen Nächte, die Tage ohne Schlaf, die
Lust, die sie beide ohne jedes Schuldgefühl genossen hatten, ehe
die Verantwortung zum Fluch wurde. Politik. Wie lange war das her,
schon dreißig Jahre? Siebenunddreißig Jahre? Siekonnte sich kaum noch an seinen Körper erinnern, manche
Geliebten hinterließen einfach keinen bleibenden Eindruck. Und
an andere erinnerte man sich sein Leben lang. Scott… Scott war
Geschichte, in mehr als einer Hinsicht. »Damit man sich ihn
immer mal wieder ins Gedächtnis rufen kann.«
»Der Ausschuss zur Verbesserung von Genom und Rasse wird sich
mit Ihrem Gesuch befassen«, erklärte die Wiederverwerterin
und strich seelenruhig ihren Nonnenschleier glatt. »Gibt es
sonst noch etwas?«
»Ich bin Zeugin seines Endes.« Sie ließ ihre Hand
auf seiner Schulter, während der Wächter ihm den
Todesstoß versetzte, indem er das Mind-Mapping in einen Modus
schaltete, in dem sich alles unkontrolliert verzweigte. Scotts Augen,
die nichts mehr sahen, schlossen sich. Sofort begann eine blasse
Flüssigkeit aus seinem Hinterkopf zu sickern. Sie berührte
totes Fleisch. Früher einmal war ihr das zuwider gewesen…
Jetzt war sie nur noch froh darüber, dass es nicht sie selbst
erwischt
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