Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
hatte. Sie strich seine Haare glatt, richtete sich auf und
suchte Georg Bayreuths Blick. »Lassen Sie das hier zum Recyceln
abholen.« Die Wiederverwerterin rasselte bereits ihr Gebet
für die heraufgeladenen Überreste herunter und vertraute
seinen Zustandsvektor der Speicherung bis zu dem Zeitpunkt an, zu dem
der ungeborene Gott erscheinen würde. »Was die übrigen
Leute betrifft, können Sie ruhig für alle ein Uploading
veranlassen – der ungeborene Gott wird die Seinen schon
erkennen.« Sie seufzte. »Also gut. Wissen wir inzwischen,
wo er die Namensliste seiner Marionetten aufbewahrt hat?«

 
    »Nun, Portia, das bringt mich auf die nächste Frage: Wie
geht’s mit Ihrem Lieblingsprojekt voran?«
    Hoechst lehnte sich in dem üppig gepolsterten, mit Samt
ausgekleideten Lehnstuhl zurück und musterte das in die Decke
eingravierte goldene Blatt. Sie nahm sich Zeit für die Antwort:
Dies alles war ein bisschen überwältigend für sie.
Ehrlich gesagt war sie es nicht gewohnt, vom
Oberabteilungssekretär ins Vertrauen gezogen zu werden, und der
onkelhafte Ton U. Blumleins löste bei ihr eine eher wachsame
Haltung aus. Ihr fiel dabei einer ihrer Lehrer im Kinderhort ein
– sie konnte sich noch vage an diese Zeit erinnern –, ein
Bursche, dessen Launen zwischen vertraulicher Herzlichkeit und
lautstarken Anfällen von Jähzorn geschwankt hatten. Er
verhielt sich ganz bewusst so, wie sie später gemerkt hatte, als
sie die Richtlinien zur Führung von Kinderhorten gelesen hatte.
Durch ein solches Verhalten sollte den Kleinen beigebracht werden,
dass es oft besser war, den Mund zu halten und Vorsicht walten zu
lassen. Sie war eine gute Schülerin gewesen, vielleicht eine
allzu gute, und die Erkenntnis, dass diese hübschen kleinen
Lektionen des Lehrers, Schmerz auszuhalten, so unmittelbar auf die
Bedürfnisse der höheren Ebenen ihrer genetischen Familie
abgestimmt waren, hatte ihr schwer zu schaffen gemacht. Was uns
nicht umbringt, macht uns nur stärker: All diese
Lektionen dienten lediglich zur Demonstration, dass dieser Satz keine
leere Phrase war.
    »Ich habe Sie etwas gefragt«, mahnte ihr
Vorgesetzter.
    »Die grundsätzlichen Probleme habe ich meiner Meinung
nach gelöst«, erwiderte sie selbstbewusst, hob ihr Glas und
nippte vorsichtig an ihrem Mandellikör, um ihr kurzes
Zögern zu überspielen.
    »Die grundsätzlichen Probleme«, wiederholte
Blumlein lächelnd. Als er sein Glas ausstreckte, eilte ein
Mädchen herbei, um ihm nachzuschenken. Hoechst rutschte leicht
in ihrem Lehnstuhl hin und her und ließ einen Finger unter die
Schulter ihres Kleides gleiten. Sie erwiderte sein Lächeln,
obwohl sie alles andere als in lockerer Stimmung war.
    Eine Einladung zu einer abendlichen Unterhaltung im Salon ihres
Vorgesetzten war normalerweise eine öffentliche Anerkennung, ein
Zeichen dafür, dass man innerhalb der genetischen Familie einen
Vorzugsstatus genoss. Aber eine private Einladung zu einem
Abendessen unter vier Augen war etwas ganz Besonderes. Die einzigen
Leute, die sie hier sehen würden, waren ihre jeweiligen
Leibwächter, die Privatsekretäre und die
Dienstmädchen. Und sie alle, abgesehen von den
Privatsekretären, waren jederzeit austauschbar, zählten
nichts im wenig ausgeprägten gesellschaftlichen Umgang der
Übermenschen. Was hatte sich Blumlein bei dieser Einladung wohl
gedacht? Ging es ihm um Sonderaufträge? Bestimmt war es kein
Verführungsversuch – es war allgemein bekannt, dass seine
Vorlieben anders ausgerichtet waren –, und sie konnte sich wohl
kaum für so wichtig halten, dass er aus anderen Gründen den
freundschaftlichen Verkehr mit ihr suchte. Eines, was sich jeder
Übermensch schon in jungen Jahren aneignete, war der Riecher
für den eigenen Status im Beziehungsgefüge. Und dieses
heimliche Stelldichein kam ihr einfach nicht plausibel vor, aus
welcher Perspektive sie es auch betrachtete. Es sei denn, Blumlein
hätte sich aus unerfindlichen Gründen dazu entschlossen,
ihr die Rolle seiner offiziellen Partnerin zuzuweisen – was eine
bemerkenswerte, wenn auch überaus heikle Ehrbezeugung
bedeutete.
    »Ich möchte Sie bitten, die grundsätzlichen
Probleme kurz zusammenzufassen, Portia. Mit eigenen Worten. Und
lassen Sie sich dafür bitte so viel Zeit, wie Sie
brauchen.«
    »Oh. Also gut.« Portia riss sich zusammen. Du
Närrin, fluchte sie insgeheim. Um was hätte es sonst
auch gehen sollen? »Scott hat auf Moskau jämmerlich
versagt. Besser ausgedrückt: Er hat die Sache nicht

Weitere Kostenlose Bücher