sus
Schild unten:
Omer Goldy usw. Gebieterisch drücke ich auf den
Klingelknopf. Keine Reaktion. Vielleicht muß man hier direkt eintreten. Ich
drehe den Türknopf, doch die Tür läßt sich nicht öffnen. Ich läute wieder, etwas länger als eben. Wieder nichts.
„Geben wir’s auf“, schlägt
Hélène vor.
Seitdem sie eine Million in der Loterie nationale gewonnen hat, fehlt
ihr das Arbeitnehmerbewußtsein , vorsichtig
ausgedrückt. Aber ich laß mich überreden.
Wir gehen wieder hinunter.
Durch das riesige Portal gelangen wir auf die Rue La Fayette mit ihrer Pariser Frühlingssonne. All diese Schilder... Kupferschilder...
Marmorschilder... Ja, wirklich wie auf einem Friedhof.
„Sie machen ein komisches
Gesicht“, bemerkt Hélène auf dem Bürgersteig.
„Immer, wenn ich telefonieren
will. Dann kommt meine bäuerliche Herkunft zum Vorschein. Die Angst vor diesen
neuen Erfindungen, dem ganzen Teufelswerk.“
„Von wegen! Äh... tja... ich
verspüre auch so was wie Angst... Unruhe...“
„Sag ich doch! Wir müssen
telefonieren, meinen Sie nicht?“ Sie zuckt die Achseln:
„Sie sind der Chef.“
Wir nehmen Kurs — ohne Kompaß ! — auf die Galeries Lafayette, gehen über die Kreuzung Boulevard Haussmann- Chaussée d’Antin . Ein Fleck, den ich unseren Lebensmüden nur
empfehlen kann. Aus irgendeiner Richtung taucht immer ein Wagen auf, der nichts
anderes im Sinn hat, als jemanden über den Haufen zu fahren. Und den Flic dort muß man gesehen haben! Seine Gymnastik ist
halsbrecherisch...“
Wir kommen heil auf der
gegenüberliegenden Straßenseite an und stehen vor einer Bank. Ihren Namen hab
ich vergessen. Ich und die Banken... Etwas weiter, vorbei an einem Pissoir,
sind die Telefonkabinen des Postamtes der Rue Gluck. Ich suche eine ganz
bestimmte Nummer im Telefonbuch.
„Ich könnte zwanzig Francs
sparen“, sage ich. „Die ich anrufen will, wohnen nur drei Schritte von hier
entfernt. Aber wenn man in der Loterie nationale gewonnen hat, sollte man nicht auf zwanzig Francs sehen. Das wär
kleinkariert.“
„Sehr richtig“, stimmt mir
Hélène spitz zu. „Möchte wissen, ob wir jemals was von unserem großen Los haben
werden!“
„Wie meinen Sie das?“
„Daß irgendwo der Spaß
aufhört... und Sie damit auf die Schnauze fallen können. Es ist unter Strafe
verboten, die Feuerwehr ohne Grund zu alarmieren...“
„Ich will doch gar nicht die
Feuerwehr alarmieren.“
„ Um so schlimmer.“
„Aber nicht zu ändern. Ich
hoffe nur, daß sie mich nicht an der Stimme erkennen.“
„Haben die Ihre Stimme denn
schon mal gehört?“
„Tja... also... eigentlich...
Sie haben mich liebevoll bei sich aufgenommen, zwei- oder dreimal.“
„Betrunken?“
„Liebeskummer muß man
ertränken.“
„Wenn man betrunken ist, hat
man eine andere Stimme.“
„Wenn das so ist, dann los!“
Ich betrete eine Telefonzelle
und wähle die Nummer. „Hallo!“ brummt es nach zweimaligem Läuten. „ Polizeidienststelle Opéra ?“
„ Ja .“
„Rue
La Fayette .“
„ Nein . Place Charles-Garnier .“
„Aber ich rufe von der Rue La Fayette aus an. Nummer...“ Ich sage Nummer, Etage, Name:
Omer Goldy .
„Und?“
„Und so einiges“, antworte ich.
„An Ihrer Stelle würde ich kommen. Vielleicht wartet ‘ne kleine Beförderung...“
Ich lege auf. Entweder er beißt
an oder nicht. Beißt er nicht an, werd ich seinen
Vorgesetzten alarmieren, im Kommissariat in der Rue Taitbout .
Aber irgendetwas sagt mir, daß er anbeißen wird.
Er beißt an. Eine Viertelstunde
später — Hélène und ich sitzen auf einer Caféterrasse gegenüber von Goldys Wohnung — hören wir die Sirene, mit der sich der
Polizeiwagen Platz schafft. Schon steht er am Straßenrand. Zwei Uniformierte
steigen aus, lahm und schlechtgelaunt. Gar nicht so begeistert wie ihr Kollege,
den ich eben angerufen habe. Die beiden gehen durch das Portal, immer mehr von
sich selbst angewidert, von ihrer Arbeit, vom Tag, der sich so hinzieht.
Bestimmt gehören sie nicht zu den Flics , die ein
anonymer Anruf in Ekstase versetzen kann. Phantasie? Fehlanzeige. Aber
vielleicht haben sie recht. Ich werd’s schon sehen.
Immerhin wird mich das Experiment nur ein Telefonchip gekostet haben. Und wenn
der gutgläubige Flic von eben nicht befördert, dafür
aber angeschnauzt wird... kann mir scheißegal sein.
Auf der Straße ist es ruhig.
Ich meine, sie ist belebt, sehr sogar, aber wie üblich. Nichts Sensationelles.
Die Zeit geht vorüber, wie die
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