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Susan Price

Susan Price

Titel: Susan Price Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Elfling Saga
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nicht.« Sie versuchte, es ihm zurückzugeben.
    Er zog sie an sich heran und legte den Arm um sie. Er war so viel größer, dass er den Arm um sie legen und ihr immer noch das Runenholz hinhalten konnte. Mit der anderen Hand deutete er auf die Muster. »Das ist Esche … das ist Birke … das ist Eiche … das ist Riese … Und hier ist Eibe. Waffe, Fackel, Gabe, Grab, Not, Eis …«

DER WELPE

    Das Götterhaus zu betreten war wie einen Wald zu betreten: Seine Säulen bestanden aus den geraden, gemaserten Stämmen ganzer Bäume, und über ihr befanden sich die ineinandergreifenden Querbalken. Im Flammenschein der flackernden Kerzen blitzten vergoldete Schnitzereien für einen Augenblick auf, wurden der Dunkelheit entrissen, was die Schatten wie Äste im Wind schwanken ließ. Und für Jul hatte man Girlanden aus Stechpalmen und Efeu angebracht, die um die Säulen herum und zwischen ihnen aufgehangen worden waren. Ein grüner Duft erfüllte den Raum, und das golden schimmernde Kerzenlicht schien einen grünen Stich zu haben. Kendidra liebte diesen Ort. Im Götterhaus verspürte sie eine aus Ehrfurcht geborene Zufriedenheit.
    Sie führte Godhelm und Godhilda an der Hand zu den Altären, kniete sich hin und hielt die Kinder an ihren Hüften fest. Es gab Geschichten, die sie ihnen schon vor Jahren hätte erzählen sollen. »Seht ihr, das ist Thonur, der mit dem roten Bart. Seht ihr seinen Hammer?«
    Thonurs Gesicht war unter groben Axtschlägen entstanden. Den Bart hatte man rot angemalt und geriefelt, um Haare anzudeuten. Weiter unten verwandelte sich der Bart in einen Hammer, und Thonurs Hände umfassten ihn. Um seinen dicken hölzernen Hals glitzerte ein goldener Ring: der Ring, an dem auf ihn Schwüre geleistet wurden. Es war keine schöne Figur, und sie wirkte auch nicht sehr menschlich, hatte sich aber die ganze Macht des Baums erhalten.
    »Und das da, seht ihr, das ist Woden. Er hat nur ein Auge.« Wodens Gesicht entstellte ein tiefes ausgehöhltes Loch. Seine Zunge hatte man aus seinem Gesicht heraushängend geschnitzt – er war der gehängte Gott. In der Hand trug er seinen Speer, dessen Spitze vergoldet war. »Ich werde euch ein andermal erzählen, wie er sein Auge verloren hat. Und das da – schaut, das ist Ing. Seht ihr seine gelben Haare? Und das Korn in seiner Hand?« Bei Ings Gesicht hatte man sich am meisten Mühe gegeben, denn es sollte Jugend und Schönheit darstellen. Das Korn in seiner Hand bestand aus vergoldetem Eisen. Einige Statuen des Ing hielten Schwerter in ihren Händen, diese aber nicht.
    In dunkle Schatten gehüllt ragten die drei Götterbilder über ihnen auf, in goldenes Licht getaucht, das sie golden zurückwarfen. Ein dreifaltiger Gott – genau wie Freya zugleich Jungfrau, Mutter und altes Weib war, so war ihr Herr Jüngling, Krieger und alter Mann: Schwert, Hammer und Speer. Kendidra schien es fast, als ob die Götter sie wieder in ihren Reihen aufnahmen, und sie beugte sich zur weichen, dicklichen kleinen Wange ihrer Tochter und dann ihres Sohns herab, um sie zu küssen. Mit ihnen hier zu sein war pure Freude, hier vor den Altären der wahren Götter. Sie wünschte sich nur, Godwin wäre bei ihnen. Aber Godwin wollte das Götterhaus nicht betreten.
    »Gibt es Geschichten über Thonur?«, fragte Godhelm. Er hatte an seinem roten Bart und dem Hammer Gefallen gefunden.
    »Es gibt über sie alle Geschichten – einige sind hier auf die Wände gemalt.« Sie stand auf und führte die Kinder zu den Wänden, die mit Zeichnungen übersät waren. Das flackernde Kerzenlicht und die Schatten der Säulen machten es schwer, sie zu sehen. »Schaut, hier ist Woden: Ihr könnt ihn immer an seinem blauen Umhang und seiner Kapuze erkennen. Er geleitet die Toten – schaut – zu uns zurück. Wir decken den Toten die Tische, damit sie auch Jul feiern können.«
    Godhilda wirkte verängstigt, und sie schien den Tränen nahe zu sein.
    Kendidra hockte sich hin und umarmte sie. »Du brauchst keine Angst zu haben! Das werden nur die guten Toten sein: Deine Großväter werden uns besuchen. Sie kommen eine Nacht im Jahr zu uns zurück.«
    Als sie so klein wie Godhilda gewesen war, hatte sie die Heimkehr der Toten auch geängstigt denn sie fürchtete sich davor, dass sie nun jede Nacht im Jahr umherwandelnde Geister aufsuchten. Aber sie erinnerte sich auch daran, wie sie als junges Mädchen liebevoll mitgeholfen hatte, alles hübsch für die heimkehrenden Toten herzurichten. Sie freute sich darauf, dieses Jahr

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