Susan Price
ihrem toten Vater wieder ein Gedeck auflegen zu können. Er würde ein Glas des besten Weins bekommen. Er war schon lange Jahre tot, und genauso lange hatte sie ihn aufgrund ihrer christlichen Hochzeit nicht willkommen heißen können.
»Wer sind die? «, fragte Godhelm. Er schaute sich das Gemälde zweier nackter Jünglinge an, die mit ineinander verschränkten Armen Seite an Seite knieten. In ihren freien Händen hielten sie Schwerter. Auf ihren Köpfen, über dem langen Haar, trugen sie Helme aus Hirschgeweih, ein Zeichen für ihre übermenschliche Herkunft.
»Das sind die Brüder.« Als Godhelm sie fragend anschaute, bemühte sich Kendidra sehr, sich an etwas über sie zu erinnern, schüttelte aber den Kopf. Neue Götter kamen, und alte Götter gingen, und an den Wänden des Götterhauses versanken sie im Schatten und der Dunkelheit des Vergessens.
»Herrin?«, rief eine Mädchenstimme.
»Ich bin hier.«
Das Mädchen trat aus dem Schatten einer Säule ins goldene Licht. Es war eine der Dienerinnen der Residenzverwalterin. »Vergebt mir, Herrin, aber wir wissen nicht, welche Schüsseln und Krüge wir für Unwin Atheling decken sollen.«
Kendidra seufzte. Sie hasste es, vom Götterhaus und ihren Kindern weggezerrt zu werden, nur um sich um ihren Ehemann und seine Ankunft Gedanken machen zu müssen. Die Bewirtung Unwins und seiner Männer erwies sich für alle als große Belastung. Doch dies war der Preis für den Waffenstillstand gewesen, der ihnen den Frieden und damit die Gelegenheit geboten hatte, eine reiche Ernte einzufahren. Trotz vieler niedergebrannter Äcker und niedergetrampelter Feldfrüchte waren die Scheunen voll bis unters Dach, die Apfelspeicher zum Bersten gefüllt, und unzählige Nusskörbe brachten die Vorratsräume fast zum Platzen. Das Erntefest hatte seinen Namen diesmal wirklich verdient. Freya wachte über sie, und sie lächelte. Der Gedanke munterte Kendrida auf, und sie antwortete: »Doch sicher nur die wertvollsten?«
»Lady Matilde glaubt, die wertvollsten Sachen sollten den Räumlichkeiten des Königs vorbehalten bleiben. Aber sie hat Angst, den Atheling zu kränken, und sie macht sich Sorgen, dass die übrigen Dinge –«
»Bei allen Heiligen!«, sagte Kendidra und lachte über sich selbst, weil sie immer noch christliche Redensarten benutzte. »Ich komme ja schon.« Vielleicht hätte sie in ihrer eigenen Burg bleiben sollen, wo sie sich keine Gedanken über Unwin hätte machen müssen, geschweige denn ihn zu treffen, aber sie wollte Godwin wiedersehen. Und dort Jul feiern, wo Elfling war.
Sie beugte sich über die Kinder und küsste sie, und erneut wünschte sie sich, es wären wieder alle drei vereint. »Bleibt hier und benehmt euch, ich bin nicht lange weg. Godhelm, kümmer dich um Godhilda.«
Sie folgte dem Kammermädchen vom Götterhaus in den Innenhof, dessen schwarzer Schlamm mit einer dünnen Schneedecke überzogen war. Es wehte ein eiskalter Wind. Sie hatte versucht, nicht daran zu denken, aber sie hatte Angst vor dem Moment, in dem sie Unwin treffen würde und er von ihr verlangte – und das würde er mit Sicherheit tun –, mit ihm die Christmette zu begehen. Sie würde ihm sagen müssen, dass sie das nicht mehr konnte.
Du bist die Tochter deines Vaters, sagte sie zu sich selbst, und du stammst über unzählige Ahnen von Woden ab. Du brauchst vor Unwin Eadmundssohn keine Angst zu haben.
»Eine Sache habe ich festgestellt«, sagte sie zu dem Mädchen. »Elfling wird es weder auffallen noch wird es ihn interessieren, wie man seine Räume einrichtet. Wir geben Unwin das Beste und halten ihn so bei guter Laune. Weißt du, wo Godwin ist?«
Im Zimmer über dem königlichen Saal nahm sich Godwin einen Stuhl und trug ihn in die Ecke, die von den anderen am weitesten entfernt lag. Sein plötzliches Verlangen, seinen Vater hier bei sich zu wissen, ließ ihn erschauern. Nach Unwins Ankunft würde er mit ihm zur Christmette gehen, und die Leute würden ihn an seiner Seite sehen und verstehen, dass er die rechte Hand seines Vaters war. Er würde seinem Vater berichten, wie seine Mutter Godhelm und Godhilda in Heiden verwandelte.
In der Raummitte stand ein gefülltes Kohlenbecken und daneben ein großer Stuhl mit Armlehnen und sehr hoher Rückenlehne, der dem König vorbehalten war – doch jetzt saß Athelric darin. Elfling saß auf dem Boden und lehnte sich an die Stuhlseite. Sein Kopf ruhte auf seinen angezogenen Knien und lag zwischen seinen Armen versteckt. Wulfweard
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