Susan Price
gepflügt.
Helme, auf denen sich das Mondlicht spiegelte, durchbrachen den Boden. Barhäuptige Köpfe erschienen, und Knochen glänzten. Hände griffen nach oben und tasteten umher, Schultern stemmten nach oben, die Knie gebeugt. Sie kletterten in der Kleidung hervor, in der sie begraben worden waren – in Leder, Tuch und in Kettenhemden. Sie drehten sich um, griffen in ihre Gruben hinab, suchten nach den Schwertern, die neben sie gelegt worden waren, nach ihren Äxten. Sie hoben geschrumpfte Köpfe und schauten sich um. Der Feuerschein fiel auf nasenlose Gesichter, die mit harter, ledriger Haut überzogen waren, auf Gesichter, die nur zur Hälfte mit aufgedunsenem Fleisch überzogen waren, auf Gesichter ohne Augen, die nur aus Knochen bestanden.
Sie waren direkt bei Wulfweard, und seine Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Er konnte kaum noch atmen. Das Messer fiel ihm aus der Hand. Er war im Geiste in die Welt der Toten gereist, aber er hatte niemals geglaubt, jemals Gebeine aus ihren Gräbern steigen zu sehen in seiner eigenen, lebendigen Welt. Das war Wodens Zaubermacht: Todesmagie – angsterregend.
Elfling kam herbeigelaufen, wand sich an den Knochengestalten vorbei, bis er an Wulfweards Seite war. Er umschlang Wulfweard mit seinen Armen, und die Faust, in der sich das blutverschmierte Messer befand, legte er Wulfweard auf die Schulter. Elfling sang den restlichen Text des Lieds, schüttelte Wulfweard in seinen Armen, um ihn aus seiner Angst zu befreien.
»Und nun gieße ich in die nussbraune Schale
Das Blut vom Gerstenmann!
Und nun trinken wir auf die Jahreszeit
Mit dem Blut vom Gerstenmann!«
Wulfweards Kehle war ausgetrocknet, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, aber er stimmte in die letzten Worte ein:
»Es geht der Jäger nicht auf die Jagd,
Der Krieger bricht nicht den feindlichen Bann,
Der Ackermann bringt nicht aus die Saat,
Ohne Blut vom Gerstenmann!«
Die Toten kamen ihnen näher, und mit jedem Atemzug mussten sie gegen den üblen Geruch verbrauchter Erde und den überwältigenden Gestank der Gräber ankämpfen.
Hände – Knochenfächer, auf die Hautfetzen gespannt waren – griffen grüßend nach ihnen. Knochen packten ihre Schultern, berührten ihre Köpfe.
Elfling reichte ihnen die Hand, doch Wulfweard hob seine Hände, um sie abzuwehren. Schnell wie Bisse schlossen sich knöcherne Hände um seine Hände und um seine Arme, schlossen sich und hingen mit einer Grimmigkeit an ihm, die ihre Knochen in seine zu jagen, sie miteinander zu verbinden drohte, bis sie nicht mehr zu trennen wären. Gesichter taumelten auf ihn zu, als ob sie sich für den Begrüßungskuss nähern wollten, Zähne gebleckt unter dunklen, leeren Augenhöhlen. Wulfweard wäre hingefallen, hätte Elfling nicht den Arm um ihn gelegt.
Doch die Toten sammelten sich aus Liebe um sie, um sie zu begrüßen. Elfling ließ sie seine Hand in ihre nehmen, umarmte ihre verkümmerten Körper, entbot seine Wangen der Berührung erdbedeckter Zähne, ihrer lehmkalten, lehmfeuchten Lippen. Wulfweard vergrub sein Gesicht in Elflings Schulter und verbarg sich vor ihnen, obwohl er ihre Berührungen auf seinem Kopf und Rücken spürte und hörte, wie um ihn herum leise geflüstert und geraschelt wurde. »Die Brüder«, sagten die Toten. »Die Zwillinge.«
Dann drängten sich der alte Einäugige und die Schildmaid durch die Menge zu ihnen, und die Totenarmee begann ihre Speerspitzen auf die Schildbuckel zu schlagen, und ihr Klappern und Klirren hallte in der Kälte wieder. Sie wandten sich ab und setzten sich in Bewegung, hinauf zur Burg, und auf ihren Helmen und Speerspitzen spiegelte sich das Mondlicht.
DAS TOTENMAHL
Unwin warf einen Blick durch den Festsaal. Im goldenen Fackelschein glitzerte die erbeutete Pracht der Gäste ebenso wie die Waffen an den Wänden, und die Hitze sorgte für errötete und verschwitzte Gesichter. Auf allen Seiten und an jedem Tisch waren helle Kronen aus grünen Blättern und scharlachroten Beeren zu sehen: Stechpalmenkränze. Die Dänen trugen sie, die Heiden.
Selbst Ingvi Troll, der zu Unwins Linken saß, trug eine Krone in Grün und Scharlachrot auf seinen schwarzen Haaren, dem Befehl, Jul nicht zu feiern, zum Trotz. Ingvi hatte Erntefiguren auf den Tisch vor sich gestellt – kleine Strohpuppen von Wodens Ziegen und Ings Wildschweinen.
Unwin ließ sich sein Missfallen nicht anmerken. Einen offenen Streit mit den Dänen konnte er sich nicht leisten. Seine Männer, sowohl die christlichen
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