Susan Price
trafen sich auf Innenhöfen, nur um sich erneut zu trennen. Am Tor kamen sie wieder zusammen, das zwischen unaufmerksamen Wachen offen stand. Wulfweard wunderte sich darüber, war Elfling aber schon über die Brücke gefolgt, bevor er einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte. Dann rannten sie die schneebedeckten Abhänge in Richtung Obstgärten und Felder hinab, und er musste seine gesamte Aufmerksamkeit darauf verwenden, nicht hinzufallen. Die kalte Nachtluft zischte wie Peitschenhiebe über seine Haut.
Die Eiben standen im grauen Mondlicht wie eine schwarze Masse um das Gräberfeld. Ein goldenes Licht blinkte hinter ihnen auf, als Elfling und Wulfweard auf die Mauer sprangen.
In der Mitte des Gräberfelds brannte ein Feuer. Dunkle Gestalten kauerten dort. Das golden schimmernde Licht erhellte die grauen Steine des inneren Mauerrings und glitt über schneebedeckte Grabhügel und Holzpfosten, deren eingeritzte Runen verrieten, wer dort begraben lag und wer die Toten bestattet hatte. Wo der Feuerschein nicht hinreichte, lauerte tiefste, rabenschwarze Dunkelheit oder das kühle, verräterische Halblicht des Mondes auf glitzerndem Schnee.
Der Wind fegte ihnen die Haare ins Gesicht, während sie auf der Mauer standen, und die Kälte wehte widerstandslos durch Wulfweards einziges Kleidungsstück, eine dünne Tunika. Die schwarzen Gestalten am Lagerfeuer erhoben sich, wuchsen zu großen und erwartungsvollen Umrissen heran. Die Brüder sprangen herab und überquerten die Gräber, um sich mit ihnen zu treffen.
Ein Vogel flog flatternd an Wulfweards Kopf vorbei, um auf einem Runenholz am Feuer zu landen. Selbst im Lichtschein war er noch schwarz. Ein Rabe, dessen kräftiger Schnabel dazu gedacht war, Aas zu zerreißen. Ein Leichenfledderer, ein Vogel des Schlachtfelds.
Die zwei, die am Feuer warteten, waren ein alter Mann und ein hoch gewachsener Junge. Der Graubart ging Elfling mit offenen Armen entgegen und drückte ihn an sich, und als er sich umdrehte und auch Wulfweard umarmte – und das mit überraschend großer Kraft –, erkannte Wulfweard ihn wieder, als den alten Einäugigen, der ihm unter der Esche Fleisch zu essen gegeben hatte. Nun trug der Einäugige Rüstung, und zu seinen Füßen lag ein funkelnder Helm.
Der Junge umarmte Elfling und küsste ihn. Lange rote Haare fielen am Kettenhemd hinab, doch als der Junge sich zu Wulfweard umdrehte, bemerkte er graue Strähnen in seinem Haar und stellte fest, dass es sich um eine Frau handelte, keinen Jungen. Eine Schildmaid in voller Rüstung und mit einem Schwert. Er erkannte sie. Sie drückte ihn fest an sich, ihre Wange an seiner. Sie wich zurück und zog einen langen Dolch aus ihrem Gürtel, um ihn ihm anzubieten, den Griff in seine Richtung, die Klinge auf ihrer Handfläche.
Elfling nahm das Messer entgegen, das der Einäugige ihm entbot.
Wulfweard fragte: »Was nun? Sollen wir mit dem Schwerttanz weitermachen?«
Elfling grinste. »Wir sollen ihn diesmal zu Ende bringen.«
Wulfweard zog sich die Tunika über den Kopf und warf sie zur Seite. Nun war er so nackt wie Elfling, aber ihm war auf jeden Fall viel kälter. Er ergriff den langen Dolch der Schildmaid. Die Raben flogen krächzend auf und kreisten über ihnen.
Wulfweard bewegte sich in die Kampfstellung, von der aus der Schwerttanz begann, doch Elfling schüttelte den Kopf und hielt ihm die linke Hand hin. Wulfweard legte seine eigene linke Hand hinein. Elfling wich zurück, bis ihre Arme gestreckt waren, und setzte die Spitze seines Messers neben dem Ellbogen auf Wulfweards Arm. Sein Blick, der sich wie ein leichter Schlag ins Gesicht anfühlte, hieß Wulfweard, ihn nachzuahmen.
Wulfweard setzte die Messerspitze auf Elflings Arm. Er erinnerte sich an die eigentliche Bedeutung des Schwerttanzes – um den Toten Blut zu schenken, sie aufzuwecken und an Jul teilhaben zu lassen. Er hatte versucht, seinen Bruder Unwin niederzustechen, und hatte es nicht geschafft. Er hielt es für noch unwahrscheinlicher, dass er seinen Bruder Elfling schneiden konnte.
Der Druck der Messerspitze auf seiner kalten Haut wuchs zu einem tiefen, quetschenden Schmerz an, der ihn die Zähne zusammenbeißen ließ, aber er war nicht unerträglich. Er war nichts im Vergleich zum erbärmlichen, elendigen Schmerz des Verhungerns. Dann folgte der lange, glühend heiße und reißende Schmerz der scharfen Klinge, die sein Fleisch vom Ellbogen bis zum Handgelenk teilte.
Er biss die Zähne noch fester zusammen und drückte die
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