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Susan Price

Susan Price

Titel: Susan Price Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Elfling Saga
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der sich neben ihr niederließ. Da er keinerlei Überraschung zeigte, war es wohl der Mann, der sie bereits gefunden hatte. Eine Hand betatschte sie besitzergreifend, vielleicht tröstend. Nach einer Zeitspanne, die sie nicht einschätzen konnte, während sie nur wartete und lauschte, wurde eine Ecke ihrer Decke hochgeschlagen, und ein Stück Brot flog ihr entgegen. Sie nahm es und verzehrte es dankbar in der Dunkelheit ihrer warmen Höhle. Ihr war bewusst, dass der Soldat als Dank für diese Freundlichkeit beabsichtigte, ihren Körper zu benutzen, und sie war mehr als bereit, ja sogar glücklich, diesen Preis zu zahlen, wenn es bedeutete, dass sie diesen Ort unversehrt und lebendig verlassen würde.
    Hunting blickte von der Türschwelle aus auf den Hof, wo Gänse und Hühner umherflatterten und nach Nahrung suchten. Die mit Blut getränkte Erde störte sie nicht. Vom Kamin stieg Rauch auf. Aus der Entfernung würde der Hof wie immer aussehen, dachte er. Lediglich die verlassenen Felder konnten die Anwesenheit seiner Truppe verraten.
    Elfling hatte Pfeile und Bogen genommen und war in den Wald gelaufen. Allmählich verfiel er in einen ruhigen Schritt, dann rannte er wieder, bis er am Ende des am weitesten entfernten Feldes tief im Wald war und man ihn vom Hof aus nicht mehr sehen konnte. Ohne echte Absicht, ein Wild zu erlegen, schlenderte er zwischen den Bäumen dahin, stets bergauf, bis er vom höchsten Punkt der bewaldeten Hügel aus in die Täler schauen konnte. Er sah den Rauch von seinem Gehöft aufsteigen und hielt sich von da an auf der Seite des Berges, wo keine Möglichkeit bestand, den Hof zu sehen.
    Irgendwann am Nachmittag, als das Licht bereits schwächer wurde und sich in den dichtesten Teilen des Waldes die Abenddämmerung ausbreitete, fühlte er plötzlich, dass etwas nicht stimmte. Er vermochte es nicht klar zu deuten. Es war kein Schmerz in einem Teil seines Körpers, sondern eher eine Unruhe, die er überall verspürte, ein dumpfer Schmerz des Geistes oder der Seele. Er war in seinem Kopf, den Schultern und den Knien. Er setzte sich am Hang nieder und beschloss zu warten, bis die Tiere ringsum vergaßen, dass er hier war … aber das Sitzen, selbst das Liegen befreite ihn nicht von diesem dumpfen Schmerz. So etwas hatte er schon früher erlebt. Sobald er aufhörte, dieses Gefühl zu ignorieren, und zuließ, dass es sein Bewusstsein erfüllte, kristallisierten sich Worte heraus: etwas sehr Schlimmes.
    So eine Warnung hatte er schon früher erhalten. Er fragte sich: Was? Was ist es?
    Als Antwort kam: ein stärkerer Schmerz. Etwas sehr Schlimmes. In ihm war ein Ziehen heimzukehren, das der Kraft eines Magneten glich, der das Eisen anzog.
    Er stand auf und wollte einen Schritt in die Richtung seines Gehöfts tun. Doch dann verharrte er. Er wollte nicht heimkehren, und er hatte keine Möglichkeit herauszufinden, wie schlimm »etwas sehr Schlimmes« war. In der Vergangenheit hatte ihm dieses Gefühl angezeigt, dass eine Gans von einem Fuchs gerissen worden war oder dass ein plötzlicher Schneesturm aufkam oder eine Krankheit auf einem Hof in der Nachbarschaft. Erst wenn das angezeigte Ereignis geschehen war und die Spannung wie Kopfschmerzen nach einem Gewitter wich, wusste er genau, wovor er gewarnt worden war.
    Er wollte nicht nach Hause. Daheim fühlte er sich oft, als würde er mit dem Geflügel auf dem Hof leben: umgeben von ständigem Gegacker, Raufen, Picken, bis er sich wie ein Huhn vorkam, dem man die Federn so ausgerupft hatte, dass auch die leiseste Berührung schmerzte. Alle fassten ihn an – ständig –, alle wandten sich an ihn: Schlichte diesen Streit, sag uns, was wir tun sollen, mach, dass sie damit aufhört, mach, dass er aufhört, das zu sagen, sag ihnen, dass ich recht habe, sag ihnen, dass sie unrecht haben. Teilweise war das, weil er der Besitzer und Herr des Hofes war, aber auch, weil er das Unglück hatte, ein Elfengeborener zu sein – jedenfalls sagten sie ihm das. Sie schienen zu erwarten, dass er die Lösung für jedes Problem, die Antwort auf jede Frage hatte. Und das waren nur die Menschen, die ihn sein gesamtes Leben kannten und an ihn gewöhnt waren. Schlimmer waren die Besucher.
    Einige kamen lediglich, um ihn anzugaffen und Locken seines Haares mitzunehmen. Warum? Mit verschlagenem, spöttischem Ausdruck stellten sie ihm ganz einfache Fragen und taten völlig überrascht, wenn er diese in der Tat beantworten konnte. Offenbar hielten sie ihn für eine Art oberschlaues

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