Susan Price
ihm, als er den Pfeil losschickte. Er durchdrang ihn vollständig, doch das hielt ihn nicht auf. Der Axthieb, mit dem er nach Elfling zielte, hätte diesem den Arm abgeschlagen, wenn nicht die Rüstung das verhindert hätte – kein gewöhnliches Kettenhemd hätte diesen Schlag abhalten können. Elfling sprang beiseite, und der Mann stürzte zu Boden. Elfling hielt sich den geprellten Arm und schaute auf den Mann hinunter. Die Walküre gab dem Mann mit dem Schwert den Rest, ehe sie sich zu Elfling wandte.
Ihre Tunika war blutbefleckt, und Blut war um ihren Mund. »Sie sind alle tot«, erklärte sie.
»Du hast alle getötet?«
Sie lächelte ihn an. Blut drang durch ihre Zähne und lief über das Kinn. »Ich wähle die aus, welche getötet werden.«
Elfling rannte um den Schweinestall zum Haus. Bei der Tür lagen die Männer. Er näherte sich ihnen vorsichtig, falls sie doch nicht tot waren und ihn verletzen konnten. Doch keiner rührte sich. Er stieg über sie und betrat das Haus.
Die Walküre folgte ihm und fand ihn unter dem Dachfirst stehend in dem dämmerigen Raum, der nur vom Feuerschein kärglich erhellt wurde. Er starrte auf den Berg von Leichen, der das Ende des Hauses füllte. Langsam trat er näher und beugte sich darüber. Alle tot, Kehlen durchgeschnitten, alle seine Leute. Alle? Er richtete sich auf, blickte zurück und rief: »Hild! Hild!« Hunting hatte behauptet, die Frauen seien noch am Leben, oder etwa nicht? Wo konnten sie sein? Im Stall? »Hild! Wo bist du?«
Dicht bei der Wand hörte er einen leisen Laut, ein Quieken. Elfling sprang vorwärts, riss die Decken und Kissen hoch und schleuderte sie fort. In dem düsteren Lichtschein lag ein Mädchen. Es war nackt und verängstigt und hatte sich zu einem Ball zusammengerollt. Das schwache Licht fiel auf eine knochige Hüfte und auf den Arm, mit dem sie den Kopf bedeckte.
»Ebba!« Elfling nahm ihren Arm vom Gesicht. »Ist ja gut. Ich bin es – bist du verletzt? Liebling, haben sie dir wehgetan?«
Ebba, endlich von ihrer Angst erlöst, brach in Schluchzen aus. Sie hatte unter den Decken die schrecklichen, frohlockenden Schreie gehört, auch den Lärm des erneuten Kampfes. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wer kämpfte oder weshalb oder wer siegte. Sie hatte nur den einen Gedanken: Schon bald, schon sehr bald würde man sie finden und einen Atemzug später töten. Ihr fiel kein Grund ein, weshalb nicht.
Und dann – nach der Stille, die alles noch schlimmer machte – hatte sie Elflings Stimme gehört. Sie war sicher, dass es seine Stimme war, wagte es jedoch kaum zu glauben. Wie konnte er im Haus sein? Und wenn er es war, dann gewiss als Gefangener. Sie hatte sich nicht gerührt. Doch dann hatte er wieder nach Hild gerufen, so laut, als brauche er vor niemandem Angst zu haben. Unwillkürlich hatte sie ihn da gerufen, allerdings nur ein Quieken herausbekommen. Im selben Augenblick glaubte sie, einen Fehler begangen zu haben, indem sie ihr Versteck preisgab, ja, es war ausgesprochen töricht, und sie hatte gleich wieder den Mund zugemacht.
Eine Sekunde später wurde sie gefunden, genau wie sie befürchtet hatte, aber es war Elfling gewesen. Sie fragte sich, ob sie den Verstand verloren hatte oder nur träumte. »Oh, ich danke dir, Eostre!«, stieß sie hervor. »Danke!« Dann schluchzte sie.
»Wo ist Hild?«, fragte Elfling. »Ebba? Kannst du mir das sagen? Und die anderen Frauen? Sind sie –«
Die Walküre hatte die Leichen herausgezogen und auf dem Boden ausgebreitet, auf Morcars Pelze und teure Kissen. Da lag Morcar, mit starrem Blick, tot. Und seine kleine Frau. Da war Owen. Und da war Hild. Alle Leute Elflings lagen hier: Die Pflegeeltern, die ihn aufgezogen und für ihn gesorgt, die Knechte und Mägde, die so geduldig gearbeitet hatten, Jahr für Jahr, für so wenig Lohn. Einigen fehlte der Kopf. Alle Menschen waren verletzt, verstümmelt, getötet von Männern, die sie überhaupt nicht gekannt hatten und die sie weitaus geringer schätzten als die Waffen, welche sie zu diesem Massenmord verwendet hatten.
Elfling stand auf und zog Ebba mit sich in die Höhe. Immer noch schluchzend lag sie in seinen Armen, während er die Leichen betrachtete. Eine Mischung aus Traurigkeit und unbändiger Wut erfüllte ihn. Eine heiße, brennende Traurigkeit, die an ihm zehrte und schmerzte; eine eiskalte, betäubende Wut.
Er hatte nicht bemerkt, dass die Walküre das Haus verlassen hatte. Er war sich kaum bewusst, dass er immer noch Ebba in den Armen
Weitere Kostenlose Bücher