Susan Price
und rotem Zeug. Sie zeigte Ebba, wie man sich damit die Wimpern schwärzte und die Wangen und Lippen rötete. »Du bist ein komisches kleines Ding«, sagte Wilburga. »Aber irgendwie hübsch – auf eine komische Art.«
Offensichtlich dachten auch andere Menschen so. Die Männer aus Alnoths Schar begannen sie zu rufen und ihr Komplimente zu machen – aber nicht nur diese, sondern auch Fremde. In der königlichen Burg waren Hunderte von Männern: Bedienstete des Königs, Jäger, Falkner, Hundebetreuer, Hirten, dazu noch das Gefolge der edlen Herren, welche den Königssitz besuchten. Viele pfiffen Ebba nach. Sie lächelte zurück und freute sich, dass man sie für hübsch hielt. Aber sie ging mit keinem eine Bindung ein. Dazu konnte sie auch niemand zwingen, da sie nicht zu ihnen gehörte. Keiner von ihnen war bedeutend genug, um mit dem Lehnsherrn Alnoth Ärger zu bekommen, der – so nahm man jedenfalls an – ihr Besitzer war.
Auch Alnoths Männer hielten sich von ihr fern, da Alnoth klargemacht hatte, dass er für sie einen freien Ehemann finden wollte. Keiner riskierte, ihn zu verärgern, indem er diese Pläne störte. Ebba fühlte sich so frei wie eine große Adlige, die – nach ihrer Meinung – stets tun konnte, was ihr in den Sinn kam. Sie beschloss, mit niemandem das Bett zu teilen, bis Elfling zurückkehrte, und danach würde sie ihn haben. Warum nicht? Die Leute sagten, sie sei hübsch. Und er hatte für sie Gefühle gehegt – ein bisschen zumindest. Jetzt, da sie hübscher war, würde sie ihm noch besser gefallen. Sie ging ins Götterhaus, betete zur Göttin Eostre und erbat sich Elfling. Die Göttin hatte ihr schon früher geholfen.
Ihre Geschichte hatte sich verbreitet. Menschen, die sie nie zuvor gesehen hatte, sprachen sie an. »Du bist doch das Mädchen, dem die Athelinge Gold gegeben haben.« Männer fragten öfter nach: »Wofür war das? Würde ich das Gleiche bekommen, wenn ich dir Gold gäbe?«
»Nur wenn du ein Atheling bist«, lautete dann ihre Antwort, und beide lachten. Ebba war entzückt über ihren Wagemut, derartig schnippische Antworten zu geben – und damit davonzukommen! Dieses neue Leben in der Burg war herrlich.
Bei Tisch am unteren Ende der Halle oder in der Halle, wo sie und Wilburga schliefen, erzählte sie zuweilen die ganze Geschichte – und immer öfter zu ihrem Erstaunen, je mehr es sich herumsprach. Immer wieder kamen Leute und wollten alles genau hören. »Sag uns, wie du zu dem Gold der Athelinge gekommen bist.« Ein langweiliger Abend verging wie im Fluge mit einer spannenden Geschichte.
Anfangs erzählte sie alles so, wie sie sich erinnerte, und durchlebte erneut die Angst, zitterte und weinte – aber je öfter man sie aufforderte, die Geschichte zu erzählen, und je öfter sie diese erzählte, desto weniger wirklich erschien sie ihr. Sie begriff schnell, welche Teile die Menschen am meisten in Bann schlugen, und baute diese aus, während sie langweiligere Passagen zusammenkürzte. »Und Elfling wird wiederkehren«, erklärte sie. »Die Walküre hat ihm Rache versprochen. Er wird in der Anderswelt lernen, ein großer Krieger zu sein, und wird in goldener Rüstung wiederkommen, wie ein Atheling, und dann nimmt er Rache an jenen, die Hild und Owen getötet haben. Und wenn er das vollbracht hat, wird er mich heiraten!« Den letzten Satz stieß sie trotzig hervor, weil sie eigentlich damit rechnete, dass ihr Publikum lachte. Sie war froh – hatte insgeheim aber auch ein bisschen Angst, als niemand lachte, sondern alle es als durchaus möglich ansahen, dass der Held, zu dem sie Elfling gemacht hatte, sie heiraten wollte. Vielleicht heiratet Elfling mich ja tatsächlich, dachte sie.
Danach begannen ihre Zuhörer sich zu unterhalten und teilten ihr Dinge mit, welche sie nicht gewusst hatte. »Der alte König wollte Elfling als neuen König, nicht wahr? Hat er ihn nicht als seinen Nachfolger benannt, als er im Sterben lag?«
»Und Hunting ist losgeritten, um ihm sicheres Geleit anzubieten!« Schallendes Gelächter.
»Also, wenn Elfling Eadmundssohn Hunting samt einer Schar Gewappneter töten konnte … dann würde er gewiss nicht den schlechtesten König abgeben, oder?«
Alles, was Ebba hörte, fand Eingang in ihre Geschichte: »Elfling wird zurückkehren, um sich zu rächen! Er wird die Athelinge töten und zum König gekrönt werden, und ich werde seine Königin sein!«
Sie war anfangs über ihre eigenen Worte entsetzt, aber das Publikum war glücklich.
Weitere Kostenlose Bücher