Susan Price
Schließlich war es aufregend, derartige Dinge zu hören, zumal keiner von ihnen sich in Gefahr befand. Sie kamen und fragten Ebba: »Was ist das für eine Prophezeiung über den Tod der Athelinge?« Und wenn sie erklärte, das könne sie ihnen nicht sagen, boten sie ihr Bezahlung an. Nichts Großartiges: eine kleine Münze, ein billiges Schmuckstück, einen richtigen Gürtel für ihr Kleid, mit einem kleinen Messer, das daran hing. Für Ebba war das alles sehr schmeichelhaft und verführerisch, da sie nie zuvor so geschätzt worden war. Und wie konnte sie sich diese Dinge verdienen, ohne ihre Geschichte wieder zu erzählen? Also erzählte sie diese erneut. Allmählich wurden die Drohungen gegen die Athelinge blutrünstiger und die Krönung Elflings und die Hochzeit mit ihr immer prächtiger.
Wenn sie im Nachhinein Angst bekam, beschwichtigte sie sich damit, dass sie so tief unter den Athelingen stand, dass diese es nicht der Mühe wert ansahen, sie umzubringen. Sie war sicher.
Nur in ihren Träumen, wo sie sich mit Owen und Hild im Flammenmeer brennen sah, hatte sie Angst.
EIN GEIST STEHT WIEDER AUF
Ings Priesterin schloss die Augen, beugte sich über das Kohlenbecken und atmete tief den Rauch ein, der daraus aufstieg. Dann hielt sie den Atem an und lehnte sich, immer noch mit geschlossenen Augen, in ihren Sessel zurück. Ihr Gesicht war schweißnass, und die Schminke, mit der sie die Augen umrandet hatte, rann ihr über die Wangen. Ihr langes, ungebändigtes Haar klebte an ihrem Gesicht und fiel über Schultern und Arme. Neben ihr auf dem Boden lag ihr Umhang aus Katzenfellen, und ihr langer Stab lehnte an der Mauer hinter ihr. Auf dem Schoß hielt sie eine Bronzeschale, gefüllt mit blutigen Herzen, von denen sie mit den Fingern aß. Blutflecken verunzierten ihr Gewand. Auch etliche Haarsträhnen hingen mit den Enden in die Schale. Umständlich leckte sie sich die Finger und beschmierte sich dabei das Gesicht mit Blut.
Ihre Dienerinnen, vier Frauen, saßen um sie herum auf dem Boden. Eine schlug eine kleine Trommel, die tiefe Töne von sich gab. Ihr Klang hallte von den Wänden, so stetig und quälend wie der Herzschlag in den Ohren. Alle vier Frauen sangen. Ihre Stimmen hoben und senkten sich, verflochten sich miteinander, ein schleichender Klang, welcher den Verstand der Zuhörer mitriss und benebelte.
Von dem Becken mit heißer, brennender Holzkohle stieg ein dichter Rauch auf, der den Raum wenige Fuß oberhalb des Bodens bis zu den Dachsparren und dem Stroh darauf füllte. Der Rauch roch streng, wie grünes oder nasses Holz. Das kam von den Kräutern, die Ings Dienerinnen auf die Kohlen gelegt hatten. Der Rauch kratzte in der Kehle und benebelte ebenfalls.
Auf drei Seiten in dem großen Raum, der zu Athelrics Privatgemächern gehörte, hatten sich die Zuhörer versammelt. Einige, wie Athelric und seine Neffen Unwin und Wulfweard, saßen auf den Kanten der Schlafbänke, während andere hinter ihnen standen. Alle waren Mitglieder der Zwölfhundert, Adlige, und Halsreifen, Armringe und goldene Broschen glänzten im Feuerschein. Einige sangen leise mit, sodass der Klang von überallher zu kommen schien.
Die Priesterin schöpfte lang und seufzend Atem und streckte die Arme in die Luft. Die Ärmel fielen zurück, und das Licht der Lampen flackerte auf ihren glänzenden Armreifen, welche auch ein wenig an den Armen herabglitten. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie nach etwas über ihrem Kopf greifen. Dann stieß sie einen Schrei aus. Wulfweard fuhr erschrocken zusammen.
Die Priesterin erhob sich, die Schale fiel von ihrem Schoß, die blutigen Herzen landeten auf dem Boden. Unwin drehte mit einem angewiderten »Pfui!« den Kopf beiseite. Athelric und Wulfweard schauten weiter zu. Die Priesterin hob einen Fuß, dann den anderen, die Arme immer noch über dem Kopf, als klettere sie eine Leiter empor. Ihre Dienerinnen standen auf und senkten behutsam ihre Arme. Dann halfen sie ihr, sich auf den Boden zu legen. Im Liegen schwenkte sie die Arme und stieß plötzlich einen Eulenschrei aus.
Unwin lachte. Wulfweard und Athelric sowie viele andere Zuschauer drehten sich um und blickten ihn unwirsch an. Unwin lachte nochmals über ihr Befremden.
»Jetzt ist sie in der Anderswelt«, erklärte Athelric leise. »Im Geiste. Sie fliegt in Gestalt einer Eule.«
»Ganz bestimmt«, meinte Unwin.
Die Priesterin rollte auf dem Boden zwischen Stroh und Kräutern umher und stieß wieder Eulenschreie aus. Unwin seufzte. Er
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