Susan Price
meinte: »Dieses Ding kann nicht König sein.«
»Ich wünsche es so«, erklärte die edle Frau.
»Er ist ein Krüppel. Ein König muss unversehrt sein. So steht es im Gesetz.«
»Dann muss man ihn unversehrt machen«, entgegnete die edle Frau. »Mach ihn unversehrt, Wulfweard.«
Es war, als zöge ihre Stimme seine Sehnen wie Marionettenschnüre. Wulfweard stand auf und fragte sich dann, weshalb er das getan hatte. Er schaute auf die abgehauene Hand, die in der Bodenstreu lag, dann auf Elflings bleiches Gesicht, so schön und ihm so ähnlich, und tat einen Schritt auf die Hand zu. Dann zwang er sich stehen zu bleiben. »Nein. Mein Bruder Unwin wird König sein.«
Die Frau trat blitzschnell zu ihm. Der Feuerschein flackerte über sie und ließ das Gold in ihrem glänzenden roten Haar aufleuchten, ebenso ihren goldenen Halsreif und den Gürtel. Er warf ein rotgoldenes Licht von unten auf ihr Antlitz, glitzerte in ihren Augen, hüllte aber alles darunter in tiefe Schatten. Sie packte ihn hart am Kinn und funkelte ihn an. Ihre Finger taten ihm weh. Keine Frau hatte ihn je so behandelt, er war vor Schock reglos.
»Wie nennst du mich? «, fragte sie.
Sie hatte ihm nie ihren Namen genannt. Er versuchte, den Kopf zu schütteln, aber ihre Finger umfassten sein Kinn zu fest.
»Wenn ich warme Tage und Blumen bringe, wenn ich Frucht wachsen lasse, wenn ich die Heringsschwärme ans Ufer treibe, wenn ich die Schafe mit Lämmern fülle und die Kühe mit Kälbern und die Frauen mit Säuglingen – dann nennt ihr mich Mutter und Göttin. Und wenn ich Eis und Dunkelheit bringe, wenn ich vernichte, im Frost erstarren lasse und töte, dann nennt ihr mich Hexe und alte Vettel und Tod. Ich –« Blut quoll durch ihre Zähne und lief über ihr Kinn. Wulfweard wehrte sich so heftig, dass er sich aus ihrem Griff lösen und einen Schritt zurücktreten konnte. »Ich bin die Muttersau, die ihre Jungen frisst. Ich bin der Wolf, der eure Jungen reißt. Ich bin die Erde, die euch verschlingt und über die euch Menschen keine Herrschaftsmacht verliehen wurde. Ich bin die Sau und der Wolf und das Korn und die Erde. So war es immer, und so wird es immer sein. Mein Wille geschehe!«
Wulfweard befand sich im Zentrum eines Sturms. Ringsum knisterte alles, die Flammen schlugen hoch und verbreiteten ihr Licht in der Halle. Er sah nur ihre glänzenden Augen, die mit der Wildheit einer Eule blitzten, die den Verstand verloren hatte. »Dein Bruder und sein Priester und dessen Reliquien! Glaubst du, dass ich aufhöre zu sein, nur weil sie neue Götter erfinden? Und was würdest du armes Ding anfangen, wenn es mich nicht mehr gäbe?« Sie deutete auf den Stoff im Webstuhl. Der Schatten ihres Arms fiel über die Wände. »Du siehst dort Schlachten eingewoben, aber du weißt nichts von dem Tod, der kommen wird, wenn Unwin mit seinen Anhängern, die sich zu Herrschern über die Erde aufschwingen, seinen Willen durchsetzt und Wälder abholzt, Sümpfe trockenlegt, Flüsse eindämmt. Sein Weg führt zu Gift in jedem Bissen und in die Wüste und zu noch mehr Tod – oh ja, mehr Tod –, als irgendeine Schlacht je gebracht hat, die mit dem Schwert ausgetragen wurde. Mehr Tod, als du dir vorstellen kannst.«
Wulfweard konnte es sich jedoch vorstellen; denn die flackernden Schatten um ihn herum bewegten sich in Todespein, vom verzweifelten Flattern einer kleinen Fliege bis zum flippenden Fisch und zum Todeskampf eines angefallenen Hirsches. Als das Licht der Flammen und die Schatten, die es hervorrief, über den Stoff auf dem Webstuhl dahinhuschten, schienen sich die Gestalten zu winden und hinzusinken. Aus jeder Ritze in den Wänden, in jedem Zusammenfallen der Asche im Feuer, bei jedem Knacken grünen Holzes hörte er das Stöhnen und Seufzen und Röcheln der Sterbenden.
Mit geballten Fäusten sagte die edle Frau: »Herrscher der Erde! Ich habe euch die Herrschaft nicht verliehen – und wenn du dich von mir abwendest, werde ich meine Welt von dir reinigen und von neuem beginnen. Das schwöre ich.« Danach lächelte sie wieder, und das Feuer verlor an Hitze und Leuchtkraft. Ihr Gesicht wurde weicher, und die Augen funkelten nicht mehr so furchterregend. »Wulfweard, Liebling, komm zurück zu mir. Tu, worum ich dich bitte. Elfling gehört mir, und er soll für mich König sein. Mein Wille geschehe.«
Wulfweard ging zu dem Platz, wo die Hand in der Streu lag. Er fühlte sich so schwach, als bewegte sich sein Körper ohne seinen Willen. Er hob die Hand auf
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