Susan Price
Atheling.«
Die Blutung hörte auf. Elfling barg seinen verwundeten Arm an der Brust und hob schwer atmend den Kopf, um Wulfweard anzuschauen. Sein Gesicht war so weiß wie ausgebleichte Knochen, und daraus strahlten seine Augen in allen Schattierungen von Blau. Sein langes Haar fiel über Schultern und Brust, die jetzt mit Blut beschmiert war.
Halbding! , dachte Wulfweard und krabbelte auf allen vieren durch die Kräuter und das Stroh auf dem Boden davon. Dann setzte er sich wie ein Kind hin und starrte zurück in Elflings Augen. Er war jetzt wütend auf sich selbst, weil er das Ding nicht getötet hatte. Man hatte ihn hergeschickt, um es zu töten, und es schuldete ihm das Leben seines Bruders. Das Wissen, dass dieses Ding ihm das Leben geschenkt hatte, machte ihn noch zorniger. Noch schmerzlicher war die Erinnerung, dass er diesem Ding gegenüber zugegeben hatte, dass es der Sohn seines Vaters und damit sein Bruder war.
Elfling sagte: »Danke, Bruder.«
Wulfweard schnürte es die Kehle zu, als würde eine harte Hand ihn würgen. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er war so unbändig wütend, weil er nicht wusste, weshalb – und dann, weil er wusste, weshalb. Ihm hatte das Wort »Bruder« gefallen. Er hegte nicht den Wunsch, Elfling zu töten. Aber dennoch war dieser ein Bastard und ein Halbding und schuldete ihm ein Leben.
Die edle Frau ging an ihnen vorbei; ihr langes Gewand wehte bei jedem Schritt und wirbelte die Kräuter auf dem Boden auf, sodass ein leichter süßer Duft ihr folgte. Sie bewegte die Hand in der Luft, als ziehe sie einen schweren Vorhang beiseite, und veränderte alles ringsum mit einer Handbewegung.
Sie hatte eine kleinere Halle um sie geschaffen, klein und dunkel, nur von der roten Glut auf der Feuerstelle in der Mitte erleuchtet. Obwohl alles so fest aussah, hatte Wulfweard Mühe, das zu glauben, weil er spürte, dass sich die festen Wände am Ende des Gesichtsfeldes in etwas anderes verwandelten – vielleicht in einen Wald oder eine Wiese am See oder schlichtweg in Leere, in die große, dunkle, kalte Leere, die hinter allem lag. Er drehte schnell den Kopf, als wolle er den Moment erwischen, in dem die Wände sich verwandelten, aber er sah nur schwarze Schatten, die über die Holzwände tanzten und huschten. Sie hüpften hinauf in die Dachsparren, je nachdem, wie die Flammen emporzüngelten oder versanken, oder kamen aus den Ecken, immer im Einklang mit den Flammen. Den Wänden entstieg durch die Wärme des Feuers ein angenehmer Holzduft, aber Wulfweard ließ sich nicht hinters Licht führen. Er wusste, dass er sich in der Anderswelt befand, und roch einen stärkeren, beißenderen Geruch, welcher sich unter dem Duft des Holzes, des Rauchs und der Kräuter verbarg – den Geruch von Blut.
Wieder drehte er den Kopf, obwohl er schon ziemlich genau wusste, was er sehen würde. Ja, da war er – der Webstuhl, mit den augenlosen Köpfen als Gewichte für die Fäden, das Blut, das von dem glitschigen Gespinst tropfte, der graue Speer, der hindurchgeschossen wurde. Doch direkt vor seinen Augen wurde das Gewebe zu einem Wollstoff, und die Gewichte wurden zu heiligen Steinen. Das gewebte Bild zeigte eine Schlacht, in der eckige Figuren Äxte und Schwerter schwangen. Schatten und Flammen sprangen empor und tanzten über das Gewebe.
»Du siehst mehr als die meisten«, sagte die edle Frau. »Jetzt weiß ich, weshalb man dich ausgewählt hat hierherzukommen.« Sie zeigte auf das Tuch im Webstuhl. »Dort siehst du die gewebte Zukunft.«
Wulfweard schaute auf die Reihen der Männer mit ihren Schilden und hochgehaltenen Schwertern, aber Elfling ergriff das Wort. Immer noch hielt er den Armstumpf vor die Brust, als er fragte: »Besteht die Zukunft nur aus Schlachten?«
Die edle Frau lächelte. »Wann hat man je etwas anderes gewebt? Und sagt mir: Woraus ist die Vergangenheit gewoben, wenn nicht aus Schlachten? Doch schaut genau hin – betrachtet die Kanten und die ganz eng gewebten Stellen –, dann seht ihr, wie Ernten hineingewoben sind und die Bewegung der Heringsschwärme. Ihr seht Ehen und Wagenspuren und den Tod auf dem Strohsack und Wälder, die aus Bucheckern wachsen – und gefällt werden. Und, Wulfweard, du wirst sehen, dass hier hineingewoben ist, dass Elfling König in deinem Land sein wird, weil ich es für mich behalten will – und um es zu retten.«
Wulfweard schaute Elfling an und spürte sofort wieder den schmerzlichen Kampf zwischen Liebe und Hass. Er zwang sich zu lachen und
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