Susan Price
soll zurückkehren, dir den Kopf abschlagen und ein unfreies Mädchen heiraten.«
Ehe Unwin antworten konnte, breitete Athelric die Arme zur Menge aus und verkündete laut: »Kommt und feiert heute Abend in der Halle des Königs!« Er blickte zu den Dienern an der Tür, die ihm zuwinkten und jubelten. »Alle sollen heute Abend feiern. Auch an die Armen wird Essen verteilt! Ich werde einem Unfreien die Freiheit schenken.«
Der Jubel wurde grenzenlos. Unwin jubelte nicht mit, sondern stand nur lächelnd neben seinem Vatersbruder, um allen zu zeigen, wie glücklich er war. Hinter seinem lächelnden Gesicht dachte er an die Prophezeiung. Er hatte sie gehört. Er hatte bereits Pläne entworfen, wie man das Mädchen, welches diese Geschichte unter dem Volk verbreitete, zum Schweigen bringen konnte.
In dieser Nacht strahlten die weiß gekalkten Wände der Halle das Licht des Feuers, der Fackeln und der vielen Kerzen und Lampen wider, bis der gesamte Raum hell erleuchtet war. Das Licht fing sich in den Kannen, Schüsseln und Trinkbechern, ließ das Gold und die Edelsteine aufblitzen, die die Gäste trugen, und die Metallteller auf den Tischen blinken. Die Hitze von so viel Feuer und so vielen Gästen führte dazu, dass die Gesichter schweißnass waren und mit den Ärmeln abgewischt wurden. Der Lärm war auch unglaublich und ohrenbetäubend: Nicht nur die Gespräche und das Gelächter, untermalt von Harfenklängen, sondern auch unzählige kleine Geräusche vermischten sich, wenn Bänke und Stühle knarrten, Arme und Hände auf die Tische klatschten, Lippen schmatzten und Trinkbecher abgestellt wurden. Die Luft war erfüllt von den herrlichen Düften gebratenen Fleisches, Honigwein und Würzsoßen. Diener, die nicht das Recht hatten zu sitzen, liefen eilends hin und her, wenn Finger winkten, und waren sich selbst oft im Wege. Am hohen Tisch wurden die besten Speisen serviert, und die künftige Königin, Athelrics Gemahlin Osthrida, schenkte den Wein eigenhändig ein.
Unwin saß neben seinem Vatersbruder und lächelte, lachte, trank und redete, rief seinen Freunden Scherzworte zu und warf Brot nach ihnen. Keinen Wimpernschlag lang ließ er erkennen, dass etwas geschehen war, was er nicht gewollt hatte. Als man ihn fragte, weshalb der Atheling Wulfweard nicht anwesend sei, tat er so, als hätte er die Frage nicht gehört, bis der Fragesteller es für besser hielt, nie gefragt zu haben. Selbst dann noch nicht, als die Harfe die Runde machte und jeder Mann nacheinander ein Loblied auf die alten Götter oder das Lied eines Helden sang, der im Namen Wodens oder Thunots schwor – selbst dann schienen Unwins Beifall und Lächeln noch echt zu sein.
Vater Fillan saß an einem der unteren Tische, aß die Speisen für das gewöhnliche Volk, die es auch jeden Tag gab, und beobachtete alles. Langsam festigte sich in ihm die Gewissheit, dass Unwin keineswegs nur heuchelte, und das lag ihm schwer auf der Seele, denn hinter dem hohen Tisch auf dem Podium saßen die Priesterinnen des heidnischen Götterhauses, alle in bunter Kleidung mit Gold, wie Königinnen. Unwin hatte Christus verlassen und war zu seinem Ahnen, Woden, zurückgekehrt, weil er jetzt von einem heidnischen König mehr Vorteile hatte. Die Harfe wanderte die Tische entlang und kam zu Unwin. Mit Sicherheit würde man den Atheling auffordern zu singen. Wenn auch er ein heidnisches Heldenlied sang, konnte Vater Fillan gleich seine Sachen packen und das Land verlassen; denn dann gäbe es hier für einen christlichen Priester keinen Platz und keine Hoffnung mehr.
Die Harfe kam zu Unwin. Er nahm sie und schlug einige Akkorde an. Die gesamte Halle verstummte und wurde stiller als für alle vorigen Sänger. Nicht nur Vater Fillan war interessiert zu hören, was Unwin sang. Selbst die Diener verharrten und standen still, um zuzuhören.
»›Ein Knabe warst du, als du das erste wilde Ross rittest, jung warst du, als du zum ersten Mal den Raben zu fressen gabst. Den Jahren nach ein Knabe, dem Mut nach ein Mann. Du brachst den Schlaf des Schwertes …‹« Füßescharren und gemurmelter Beifall kamen auf, als den Zuhörern klar wurde, dass dieses kein Götter- oder Heldenlied war, sondern ein improvisiertes Lob auf Athelric, ein nettes Kompliment vom Neffen für den Vatersbruder. »›Alt an Weisheit jetzt, wenngleich kein grauer Bart, laut schreien wird der Stein bei deiner Berührung.‹«
Vater Fillan stützte den Kopf auf die Hand. Als das Lied weiterging, kamen immer mehr
Weitere Kostenlose Bücher