Susannah - 02 Auch Geister haben hübsche Söhne
merkwürdig.«
Cee Cee und ich wechselten einen Blick. »Merkwürdig« war noch stark untertrieben.
Nicht dass man sich hier unwohl gefühlt hätte, nein, absolut nicht. Fand ich zumindest nicht. Klar, Pru Webb war schon ein bisschen seltsam.
Aber in ihrem Haus roch es sehr aromatisch nach den Duftkerzen, die überall brannten. Und sie erwies sich als perfekte Gastgeberin, die uns sofort hausgemachte Limonade anbot. Zu blöd, dass sie vergessen hatte, Zucker reinzutun, aber für Leute, die mit der Welt der Geister in Kontakt standen, schien Vergesslichkeit nichts Ungewöhnliches zu sein. Tante Pru erzählte uns, ihr Mentor, das mächtigste Medium an der Westküste, könne sich manchmal nicht mal an seinen eigenen Namen erinnern, weil er als Sprachrohr für so viele verschiedene Seelen fungiere.
Sehr aufschlussreich war unser Besuch bei Cee Cees Tante allerdings nicht gerade. Ich erfuhr immerhin, dass ich – meinen Handlinien zufolge – später mal einen verantwortungsvollen Posten im Bereich der Medizin-Forschung bekleiden würde. (Wow! Das würde ich zu gern erleben!) Cee Cee stünde hingegen eine Karriere als Filmstar und Adam eine Laufbahn als Astronaut bevor.
Ja, ernsthaft. Als Astronaut.
Ich war zugegebenermaßen etwas neidisch, weil ich fand, die Aussichten der beiden klangen wesentlich aufregender als meine, aber ich bezähmte meinen Neid.
Was ich hingegen nicht bezähmen konnte, war Adam. Bevor ich ihn stoppen konnte, erzählte er Tante Pru brühwarm von meinem »Traum«, und nun versuchte die arme Frau – ausnahmsweise ohne Honorar, wohlgemerkt –, Deirdre Fiskes Geist zu beschwören, indem sie die Tarotkarten legte und dazu ganz viel summte.
Nur dass das Ganze offenbar nicht so recht funktionierte. Denn jedes Mal wenn sie die erste Karte umdrehte, schaute uns immer und immer wieder dieselbe Karte entgegen.
Der neunte Schlüssel. Die neunte Karte der großen Arkana.
Was Tante Pru (sie hatte mich gebeten, sie auch so zu nennen) sichtlich verstörte. Sie sammelte die Karten zum wiederholten Male ein, mischte sie, schloss die Augen und zog eine Karte aus dem Stapel heraus. Die legte sie offen vor uns hin.
Sie machte die Augen auf und sah auf die Karte. »Schon wieder! Das ergibt alles keinen Sinn!«
Das fand ich ebenfalls – wenn auch in anderer Hinsicht. Die Vorstellung, dass man Tote mithilfe eines Kartenstapels beschwören könnte, erschien zumindest mir vollkommen hirnrissig. Ich konnte Geister nicht einmal beschwören, indem ich ihren Namen rief – und ich hatte es versucht, glaubt mir. Dabei war ich doch Mittlerin. Es war mein Job, mit den Untoten zu reden.
Aber Geister waren nun mal keine Hunde. Sie kamen nicht auf Pfiff und Zuruf. Mein Dad, zum Beispiel. Wie oft schon hatte ich ihn vermisst und gebraucht? Und wann war er aufgetaucht, wenn ich ihn gerufen hatte? Drei oder vier Wochen später! Geister waren zum größten Teil unzuverlässige Gestalten.
Aber ich konnte Cee Cees Tante ja schlecht erklären, dass ihr ganzes Tun die reinste Zeitverschwendung war. Und dass in der Zwischenzeit ein Kater in einer Tasche in Adams Wagen saß und sich in die Freiheit zu knabbern versuchte.
Ach ja, und dass ein Typ, der vielleicht ein Vampir – aber auf jeden Fall für das Verschwinden mehrerer Leute verantwortlich – war, sich auf freiem Fuß befand. Ich konnte nichts anderes tun, als mit einem dümmlichen Lächeln im Gesicht dazusitzen und vorzugeben, ich würde mich amüsieren. In Wahrheit konnte ich es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und mit Pater Dom zu telefonieren, damit wir gemeinsam berieten, wie wir in Bezug auf Red Beaumont verfahren sollten.
»Du lieber Himmel«, sagte Tante Pru. Sie war wirklich sehr hübsch. Ein Albino genau wie ihre Nichte und mit Augen von der Farbe blühender Veilchen. Sie trug ein Kleid in genau dem gleichen Violettton. Der Kontrast, den die langen weißen Haare dazu bildeten, war verblüffend – und cool. Irgendwann, vermutete ich, würde Cee Cee genauso aussehen wie ihre Tante – sobald sie ihre Zahnspange und ihren Babyspeck mal los war.
Was wahrscheinlich genau der Grund dafür war, dass Cee Cee ihre Tante nicht ausstehen konnte.
»Was kann das bloß bedeuten?«, murmelte Tante Pru vor sich hin. »Der Eremit. Der Eremit.«
Soweit ich es erkennen konnte, war auf der Karte, die Tante Pru dauernd umdrehte, tatsächlich ein Einsiedler abgebildet. Keiner aus der Krebs-Familie, sondern ein echter Eremit, so vom Typ »Alter Mann in dunkler Höhle«.
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