Susannah - Auch Geister koennen kuessen
schon zweimal gebrüllt hatte, ich soll die Musik leiser drehen –, also »gruselig« wäre einem zu dem Zimmer wirklich als Letztes eingefallen.
»Gruselig?«, echote ich und sah mich um. Keine Spur von Jesse. Keine Spur von irgendeinem anderen Untoten oder sonst was. Wir standen mit beiden Beinen im Reich der Lebenden. »Was soll denn daran gruselig sein?«
Schweinchen Schlau schürzte die Lippen. »Sag Dad nichts davon«, flüsterte er, »aber ich hab in Bezug auf das Haus eine Menge Recherchen betrieben. Und ich bin zu dem eindeutigen Schluss gekommen, dass es hier spukt.«
Sein sommersprossiges kleines Gesicht sprach Bände – er meinte das ernst. Todernst, wie sein nun folgender Vortrag bewies.
»Die moderne Wissenschaft hat natürlich die meisten paranormalen Vorkommnisse in diesem Land als Fälschungen entlarvt und leugnet im Übrigen die Existenz solcher Aktivitäten. Dennoch geht kein Weg daran vorbei, dass es in unserer Welt immer wieder sogenannte unerklärbare Spektralphänomene gibt. Meine eigenen Nachforschungen zu diesem Haus haben in Bezug auf herkömmliche Anzeichen für spiritistische Wesen – zum Beispiel das Auftreten eisiger Kälte – nichts ergeben. Aber es hat in diesem Zimmer in der Vergangenheit trotzdem extreme Temperaturschwankungen gegeben, Suze, die mich zu der Überzeugung geführt haben, dass dieser Raum der Tatort mindestens einer Gewalttat war – vielleicht eines Mordes – und dass die Spur des Opfers – nenn es seine Seele oder was auch immer – sich immer noch hier aufhält, vielleicht in der vergeblichen Hoffnung auf Rache oder Gerechtigkeit für sein vorzeitiges Ableben.«
Ich musste mich gegen einen Bettpfosten lehnen, sonst wäre ich vermutlich umgefallen. »Wow«, sagte ich und hatte Mühe, meine Stimme unter Kontrolle zu halten. »Du hast ja eine lustige Art, einem Mädchen die Eingewöhnung leicht zu machen.«
Schweinchen Schlau sah mich verlegen an. »Tut mir leid«, sagte er, und die Spitzen seiner leicht abstehenden Ohren färbten sich rot. »Ich hätte wohl lieber nichts sagen sollen. Ich hab das Jake und Brad gegenüber schon mal erwähnt, aber sie meinten nur, ich wäre total gaga. Wahrscheinlich bin ich das auch.« Er schluckte tapfer. »Aber ich halte es für meine Pflicht als Mann, dir einen Zimmertausch anzubieten. Ich hab nämlich keine Angst vor Geistern.«
Ich lächelte ihn an und mein Schock wich einer plötzlichen Zuneigung für ihn. Ich war wirklich sehr gerührt. Man konnte dem kleinen Kerl ansehen, dass es ihn seinen ganzen Mut gekostet hatte, mir das anzubieten. Er glaubte entgegen aller Wissenschaft wirklich fest daran, dass es in meinem Zimmer spukte, und war trotzdem bereit, sich aus irgendeinem angeborenen ritterlichen Empfinden heraus für mich zu opfern. So jemanden musste man doch lieb haben, das ging ja gar nicht anders.
»Ist schon gut, Schweinchen Schlau.« In der rührseligen Aufwallung entschlüpfte mir doch tatsächlich der Spitzname, den ich ihm insgeheim verpasst hatte. »Ich glaube, ich komme mit den paranormalen Phänomenen, die sich hier womöglich manifestieren, schon alleine klar.«
Er schien sich an seinem Spitznamen nicht zu stören. »Also, wenn du wirklich meinst …«, sagte er sichtlich erleichtert.
»Ja, wirklich. Aber darf ich dir mal eine Frage stellen?« Ich senkte die Stimme, nur für den Fall, dass Jesse irgendwo seine Lauscher gespitzt haben sollte. »Bist du bei deinen ausgedehnten Recherchen zufällig auf den Namen dieser armen Seele gestoßen, die hier herumspukt?«
Schweinchen Schlau schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich kann ihn sicher rausfinden, wenn du willst. In der Bücherei sind alle Zeitungen archiviert, die hier in der Gegend seit dem Bau der ersten Druckerpresse erschienen sind, und das war, kurz bevor unser Haus errichtet wurde. Gibt's alles auf Microfiche und ich bin sicher, ich müsste nur lange genug suchen …«
Das kam mir zwar ziemlich bekloppt vor – ein Junge, der seine Tage damit zubrachte, in irgendeinem dunklen Büchereikeller endlose Microfiche-Reihen zu durchforsten, während nur einen Steinwurf entfernt der schönste Strand lockte. Aber hey, jedem das Seine, oder?
»Cool«, sagte ich nur.
So langsam drohte Schweinchen Schlaus Begeisterung für mich nun wirklich alle Grenzen zu sprengen. Erst hatte ich mich bereit erklärt, ein Zimmer zu bewohnen, das seiner Überzeugung nach einen Geist beherbergte, und dann hatte ich auch noch Bryce Martinson das Leben gerettet. Was
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