Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
verständnislos an.
Frau Pasquale winkte ungeduldig ab, als die Dolmetscherin ihre Hilfe anbot. Sie ließ ihre Haare los und zeigte mit dem Zeigefinger auf ihren Kopf. »Sie kommen«, wiederholte sie dumpf. Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht. Sie machte einen ihrer Zöpfe auf und kämmte sich so heftig, als wollte sie jedes einzelne Haar ausreißen.
»Sie? Morgen kommen! Ja?«
Endlich ging Susy ein Licht auf. »Ja«, sagte sie. »Ich komme morgen. Natürlich. Ich werde Ihnen die Haare machen.«
Frau Pasquale riß sie an sich und zerdrückte sie fast.
»Ein liebes Mädchen!« schrie sie begeistert.
Die Weltverbesserer
Nachdem ihr Verhältnis zu Frau Pasquale sich geklärt hatte, gefiel es Susy sehr gut auf der Station. Die Patientinnen ließen sich gern von ihr betreuen, und bald hatte sie das Gefühl, schon wer weiß wie lange zu der Station zu gehören.
Nach der Anspannung beim Unterricht war es wie eine Erlösung, in den warmen sonnigen Saal zu kommen und mit freundlichem Lächeln begrüßt zu werden. Susy brachte den Kranken erfrischende Getränke oder Wolldecken, was alles dankbar und ohne Kritik entgegengenommen wurde. Sie wartete an der Tür der in lärmendem Aufruhr tobenden Küche auf die fertigen Tabletts, um sie zu verteilen. Sie beobachtete, wie die Schatten der Ulmen draußen auf dem Rasen länger wurden, und dachte daran, daß nach der Besuchsstunde die Vorbereitungen für die Nacht begannen. Da waren müde Rücken einzureiben, zerknüllte Laken zu glätten und festzustecken, heiße Kissen, auf denen noch heißere Wangen ruhten, umzudrehen. Eisbeutel und Wärmflaschen zu verteilen. Und immer war Schwester Waring da, gleichmäßig freundlich und zuverlässig. Stets fand sie zur rechten Zeit ein ermutigendes Wort.
Susy und Hilda übten auf der Station aus, was sie unter der gestrengen Führung von Fräulein Cameron lernten. Allmählich machten sie Fortschritte. Nach dem Bettenmachen kamen Bettbäder und das Messen der Temperatur daran. Dann machten sie Alkoholwaschungen und heiße Breiumschläge. Sie massierten, gaben Morphiumspritzen und reichten Medikamente. Immer wieder gab es etwas Neues zu lernen, und alles war interessant.
Dr. Barry machte täglich die Runde auf der Station, erschien jedoch selten zu der Zeit, während der Susy dort war. Wenn sie ihm einmal begegnete, lächelte er sie aus seinen tiefliegenden klaren Augen an. Aber er schien immer sehr weit fort zu sein und von Dingen in Anspruch genommen, die ihn viel mehr fesselten als eine rothaarige Probeschwester.
»Ich liebe dies alles hier«, sagte Hilda eines Abends zu Susy, als die beiden durch den Garten zum Haus Brewster gingen. Die Umrisse der roten und grauen Krankenhausbauten verschwammen im leichten Herbstnebel. Lichter blinkten aus den Fenstern, hinter denen Nachtschwestern hin und her huschten. Der Abendwind flüsterte in dem Efeu, der die alten Mauern bedeckte.
»Ja, ich liebe es auch«, antwortete Susy. Sie vermochte nicht in Worte zu fassen, was sie für das Krankenhaus empfand. Hilda war ein netter Kerl, dachte sie bei sich. Es ließ sich gut mit ihr zusammen arbeiten - trotz ihrer übertriebenen Ängstlichkeit und ihrer melancholischen Stimmungen. Im Grunde glaubte sie ja selber nicht an die düsteren Prophezeiungen, die sie manchmal aussprach.
»Sie sind glücklich dran, Susy, weil Sie mit Kit und Connie befreundet sind«, sagte Hilda. »Es muß nett sein, gleich von Anfang an Freundinnen zu haben. Alle beneiden Sie darum - nur Franziska Manson nicht.«
»Was hat sie denn gegen uns?« fragte Susy. Franziska Manson war das ältere Mädchen mit dem harten Zug um den Mund, das sich am ersten Abend Elfe Holton gegenüber so unfreundlich verhalten hatte.
Hilda zuckte die Achseln. »Kein Mensch weiß so recht, was sie denkt. Sie ist so kühl und berechnend. Über alles und alle macht sie sich lustig - besonders über mich.«
»Sie müssen nicht darauf achten«, sagte Susy ein wenig abwesend und dachte nicht weiter über Hildas Worte nach.
Aber am nächsten Tag wurde sie wieder daran erinnert. Es war ein Sonnabend, und die Probeschwestern hatten nachmittags frei. Als Susy das Wohnzimmer betrat, fand sie Kit und Connie in ein ernstes Gespräch vertieft.
»Ich finde das einfach niederträchtig«, sagte Kit.
»Mach es nicht schlimmer, als es ist«, entgegnete Connie. »Ich glaube, vorläufig macht sie sich noch nicht viel draus. Aber wenn das so weiter geht, kann es böse für sie werden. Die anderen Mädels
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