Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
stieß sie auf zerknüllten Stoff und weiche Wolle. Schließlich blickte sie nach oben. Weit, weit über sich sah sie einen winzigen Lichtfleck, in dem sich etwas bewegte. Eine Grabesstimme tönte hohl durch den Schacht. »Mamma mia!« Es war Frau Pasquales Stimme. Nun erschien ihr Kopf oben in dem Schacht und verdunkelte das Licht, das durch die Tür drang. Susy lächelte in zitterndem Triumph. Hier konnte ihre Feindin sie nicht erreichen.
Sie wußte jetzt, wo sie sich befand. Sie war durch einen Wäscheschlauch gefallen. Nun verschwand Frau Pasquales Kopf. Susy erschrak. Wenn die Italienerin nun nichts von dem Vorfall erwähnte? Niemand würde Susy vermissen, denn alle glaubten ja, sie wäre fortgegangen. Und hier unten würde sie niemand hören, selbst wenn sie aus vollem Halse schrie. Vor morgen früh würde die schmutzige Wäsche gewiß nicht abgeholt werden.
Angstvoll sprang Susy auf. Wenn nun jemand einen Haufen Wäsche hinunterwarf? Sie würde darunter ersticken. Mit wild klopfendem Herzen tastete sie die weichen Wände ihres Gefängnisses ab. Kein Ausweg! Doch, da war eine Tür. Deutlich fühlte sie die Fugen. Aber die Tür war von außen zugehakt. Susy holte tief Atem und wollte gerade um Hilfe rufen, als Schwester Warings Stimme von oben ertönte. »Schwester Barden! Schwester Barden!«
»Ja!« schrie Susy, erstaunt über die Kraft ihrer Lungen.
»Haben Sie sich verletzt?«
»Nein, ich habe nur einen kleinen Nervenschock.«
»Schwester Folsom ist hinuntergegangen, um Sie zu befreien. In einer Minute sind Sie erlöst.«
Susy atmete auf. Frau Pasquale hatte also doch Hilfe geholt. Nun wurden draußen Schritte hörbar. Jemand machte sich an der Tür zu schaffen. Endlich öffnete sie sich, und Susy fiel in die Arme von Schwester Folsom, die sie zitternd an sich drückte. »Alles in Ordnung?«
»Ja, natürlich.«
»Gott sei Dank, daß hier unten Wäsche lag! Sonst würden Sie .« Schwester Folsom brach schaudernd ab.
»Keine dummen Streiche mehr machen«, beendete Susy den Satz. »Na, es war Wäsche drin. Wir wollen nicht weiter darüber nachdenken. Es tut mir leid, daß ich mich so töricht benommen habe.« Sie erklärte der Schwester, wie es zu dem Unfall gekommen war.
»Frau Pasquale war ganz außer sich«, berichtete Schwester Folsom. »Sie riß Schwester Waring fast die Kleider vom Leib, um sich verständlich zu machen. Wir mußten wieder Schwester Olivetti von Station 27 holen. Wir - wir dachten alle, Sie wären tot.«
Die beiden hatten inzwischen die Treppe erreicht. »Sie müssen noch einmal zur Station zurückkommen, damit alle sich überzeugen können, daß Sie leben«, sagte Schwester Folsom. »Außerdem will Frau Pasquale Sie durchaus sehen.«
Susy stöhnte, ging aber widerspruchslos mit.
Die ganze Station 23 schien oben an der Treppe zu stehen.
Schwester Waring eilte Susy entgegen. »Haben Sie sich wirklich nichts getan?«
»Nein. Es ist mir offenbar nicht bestimmt, in ein frühes Grab zu fallen, sondern eher, mich zu Tode zu erschrecken.«
Schwester Waring lachte, war jedoch sehr bleich.
Plötzlich erschien Frau Pasquale, Schwester Olivetti hinter sich herzerrend. Rücksichtslos bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, die Susy umgab. Die Patienten flüchteten wie vor einem Knallfrosch. Susy straffte sich und blickte der Ankommenden mutig entgegen.
Wieder begann das kreischende abgerissene Italienisch. Susy hörte betäubt zu. Jeder, der die italienische Sprache schön fand, müßte einmal Frau Pasquale reden hören, dachte sie bei sich.
»Sie sagt, daß es ihr leid tut, Ihnen so viel Kummer bereitet zu haben«, übersetzte Schwester Olivetti. »Sie hat ihr Haarband gefunden. Es lag in ihrer Nachttischschublade. Sie wollte sich bei Ihnen entschuldigen. Aber Sie liefen fort.«
»Warum hat sie mir das denn nicht im Saal gesagt, anstatt mir draußen aufzulauern?«
Schwester Olivetti sprach schnell auf Frau Pasquale ein.
Diese ließ den Kopf hängen wie ein gescholtenes Kind und antwortete mit leiser Stimme.
»Sie schämte sich und wollte sich nicht in aller Öffentlichkeit entschuldigen. Sie hatte Angst, ausgelacht zu werden.«
»Daß niemand von Ihnen lacht!« sagte Schwester Waring drohend. Die Patienten zerstreuten sich grinsend.
Frau Pasquale wandte sich zu Susy. Mit einer leidenschaftlichen Gebärde griff sie sich in die Haare. Sie schien sie ausreißen zu wollen, um sie Susy zu schenken. »Morgen!« rief sie eindringlich. »Sie kommen.«
Susy starrte sie
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