Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
hauen auch schon in dieselbe Kerbe. Wenn jeder ihr sagt, daß sie dumm sei, wird sie es schließlich selber glauben.«
»Wovon redet ihr eigentlich?« fragte Susy und setzte sich zu den beiden auf die Couch.
»Wir sind empört darüber, wie häßlich Franziska Manson die arme Hilda behandelt. Hast du das noch nicht bemerkt?«
»Ich sehe die beiden selten zusammen, denn wir gehen fast nie um dieselbe Zeit zu Tisch.« Susy runzelte die Stirn. »Ach, da fällt mir ein, gestern hat sich Hilda über Franziska beklagt.«
»Das kann ich mir denken«, rief Kit. »Sobald die arme Hilda den Speisesaal betritt, geht die Hetze los. Die anderen warten schon immer darauf. Sie feuern Franziska an, und die hat einen Heidenspaß an der Sache. Hilda ist wahrhaftig kein Genie. Aber wenn ich krank wäre, würde ich mich tausendmal lieber von ihr pflegen lassen als von Franziska.«
»Was tut Franziska denn eigentlich?«
»Beschreibe du es ihr, Connie. Du verstehst so etwas besser.«
»Du weißt doch, wie Franziska ist«, sagte Connie. »Mit ihrem schiefen Lächeln sieht sie immer so aus, als würde sie von jemand gekniffen.«
Susy nickte.
»Es beginnt jedesmal damit, daß sie Hilda mit diesem schiefen Lächeln betrachtet. Heute Morgen erkundigte sie sich nach ihrer Arbeit auf der Station, und zwar in einem Ton, als ob Hilda nichts tauge. Das stimmt doch sicherlich nicht.«
»Im Gegenteil, sie ist ausgezeichnet.«
»Hilda ist immer von solch tierischem Ernst. Sie machte runde Augen und sagte das Dümmste, was sie sagen konnte. Sie hätte das Gefühl, die Patienten fingen an, sie ein wenig gern zu haben.«
»Franziska antwortete gönnerhaft: >Dann ist ja alles gut. Ich wußte sofort, als ich Sie zum erstenmal sah, daß Sie dazu geboren sind, anderen ein Sonnenstrahl zu sein. Sie sind ein prächtiger Mensch, Hilda. Ihre Anwesenheit befeuert mich immer.<«
»Wie boshaft!« rief Susy empört.
»Nicht wahr? Sogar Hilda begriff das. Sie wußte gar nicht, was sie sagen sollte. Darauf konnte man ja auch kaum etwas erwidern.«
»Nein. Und was geschah weiter?«
»Dann wurde Franziskas Ton mitfühlend. Sie lehnte sich über den Tisch, ließ ihre Augen über Hildas Rundungen und Ausbuchtungen schweifen und sagte: >Armes Kind! Ich glaube, Sie sind wieder dicker geworden<. Darauf brach die ganze Tischrunde in lautes Gelächter aus. Hilda wurde feuerrot. Aber das genügte Franziska noch nicht. Sie riet Hilda, scheinbar in der besten Absicht: >Nehmen Sie sich bloß in Fräulein Camerons Unterrichtsstunden zusammen. Es ist ja sehr schön, daß Ihre Leistungen auf der Station sich gebessert haben, aber ich befürchte ...<.«
»Das ist ja grausam!« rief Susy. »So etwas kann man doch nicht machen.«
»Du könntest es nicht, aber Franziska kann es. Hilda wurde weiß wie die Wand und stammelte: >Aber ich habe doch gar nichts verbrochen<. Darauf Franziska: >Nein? Dann ist ja alles in Ordnung. Wahrscheinlich hat Fräulein Cameron sich geirrt.<«
»Hat Hilda denn irgendwas verkehrt gemacht?«
»Natürlich nicht, du Dummchen. Aber sie ist jetzt unsicher geworden. Sie sah derart verängstigt aus, daß ich es kaum mitansehen konnte. Als sie aus dem Speisesaal ging, sagte eine von Franziskas Anhängerinnen: >Hilda wird von Tag zu Tag dümmer. Nächstens werden wir uns nur noch durch Zeichensprache mit ihr verständigen können. < Darauf erschallte ein albernes Gelächter. Hilda hörte es natürlich. Es war ekelhaft.«
»Hilda ist gar nicht dumm«, sagte Susy. »Sie begreift nur ein wenig langsam, und daran ist nichts zu ändern. Im Übrigen gibt sie sich große Mühe und ist ein guter Kerl. Ich habe sie sehr gern. Franziska muß für ihre Bosheit bestraft werden.«
»Aber wie?« fragte Kit. »Sollen wir vielleicht so lange auf ihr herumtrampeln, bis sie sich entschuldigt?«
»Keine schlechte Idee«, meinte Susy. »Nur - die Schulleitung würde nicht damit einverstanden sein.«
»Wahrscheinlich sitzt Hilda jetzt oben in ihrem Zimmer und möchte mit allem Schluß machen.«
»Noch hat sie jedenfalls nicht Schluß gemacht. Dort kommt sie.«
Die beiden anderen folgten Susys Blick. Hilda kam in einem eleganten Schneiderkostüm durch den Korridor. Ihre Augen leuchteten, ihr kindlicher Mund war leicht geöffnet.
Strahlend stolperte sie ins Wohnzimmer und rief:
»Hallo! Wissen Sie eigentlich, daß wir nachts fortbleiben dürfen, wenn wir nachmittags frei haben und unser Dienst am nächsten Tag erst mittags beginnt?«
»Nein, wirklich?« Connie
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